: „Socken müssen in den Eimer“
■ Mounted Games: Geschicklichkeit und Geschwindigkeit auf Ponyrücken
Die Koppel liegt im Schleswig-Holsteinischen, irgendwo zwischen den Kurorten Bad Segeberg und Bad Bramstedt. Recht beschaulich fressen hier die meiste Zeit des Jahres die Kühe das kniehohe Gras. Einmal im Jahr allerdings müssen die Wiederkäuer zwei Tage lang weichen. Dann kommen die Zweibeiner und steigen auf mitgebrachte Vierbeiner. Spätestens wenn die Startflagge fällt, ist es augenblicklich vorbei mit der Idylle.
Unter dem lautstarken Gejohle von den ausnahmslos lackschuhfeindlichen Zuschauerplätzen hetzen die ReiterInnen, gekleidet in die bunten Jerseys ihrer Teams, auf den Ponys los. In der Bahnmitte werfen sie, tief herabgebeugt, eine „Socke“ – einen kleinen Stoffbeutel – gezielt in einen Eimer. Und weiter geht das rasante Kopf-an-Kopf-Rennen. Am Ende der Bahn springen sie aus vollem Galopp ab, greifen eine am Boden liegende „Socke“ und schwingen sich, das Zielobjekt zwischen den Zähnen, wieder auf das bereits angaloppierende Pferd. In gestrecktem Ritt zurück zu Start und Ziel, wo bereits die TeampartnerInnen ungeduldig auf den Wechsel warten.
„Die Socken müssen in die Eimer“, stellt Nadine Kowalewski noch einmal klar. Das sei bei „Socks and Buckets“, einer von über 20 Spielformen, eigentlich schon alles. Die aus dem Englischen übernommenen Spielnamen geben zwar häufig Grund zur Irritation, „es sind aber keine echten Socken und Abfälle, sondern nur so benannte Spielgeräte, die zum Einsatz kommen“, erklärt die 21-Jährige, die ab morgen bei der 4. Internationalen Deutschen Paarmeisterschaft der Mounted Games-Sportler für den TuS Hartenholm im Sattel sitzen wird.
Mounted Games heißen die Reiterspiele, die in Deutschland noch wenig bekannt sind. Die Namen der Disziplinen sind gewöhnungsbedürftig: „Bottle-Shuttle“ (Flaschen-Pendelverkehr), „Three-Legged-Sack“ (Dreibein-Rennen), „Agility Aces“ (Flinke Füße) oder „Hug-a-Mug“ (Becher-Spiel). Bei den Paarmeisterschaften müssen zwei ReiterInnen als eine Equipe nominiert werden. Geritten wird nicht auf Fehler und Zeit, sondern immer im direkten Vergleich. Die siegreiche Mannschaft erhält die meisten Punkte, die über eine Serie von Spielen zu einer Gesamtwertung addiert werden.
„Viele denken, es sei nur Jux“, ärgern sich die Aktiven nicht selten über abfällige Bemerkungen. „Die Leute sehen nicht, dass reiterliches Können und vor allem die Harmonie zwischen Mensch und Tier dazugehören“, erläutert Kowalewski, die mit der deutschen Nationalmannschaft bereits bei Turnieren in Schweden, Frankreich und Kanada aktiv war. Das oberste Gesetz ist die Fairneß gegenüber den Ponys. Sporen und Gerte sind verboten, ebenso der Gebrauch von Zügeln. Allein mit Schenkeldruck und Gewichtsverlagerung sollen die Tiere über die Parcours dirigiert werden.
Die Ursprünge der Sportart gehen indes einige Jahrhunderte zurück. Auf den Höfen der indischen Maharadjas wurden die Wettkämpfe erstmals betrieben. Auf dem Kolonialweg kamen sie schließlich nach Großbritannien, wo sie schnell populär wurden. Über die Jahre standardisiert und perfektioniert, entwickelten sie sich zu einem rundum britischen Sport. Heute werden während einer Saison zahlreiche Turniere, so genannte „Gymkhanas“ ausgetragen – was aus dem indischen sinngemäß übersetzt „ein Tag auf dem Rücken eines Pferdes“ bedeutet.
Alleine in England sind mittlerweile weit über 100 Clubs in zwei Verbänden organisiert. „Es wäre das absolut Größte, bei einer Gymkhana auf der Insel zu reiten“, glaubt Nadine Kowalewski. Dort seien die Spiele beinahe so beliebt wie Volleyball und es kämen Tausende von Zuschauern.
Soweit ist es in Deutschland noch lange nicht. Erst seit knapp elf Jahren finden die Mounted Games auch hier ihre Anhängerschaft. „Unser Sport wird immer beliebter und findet bei Jugendlichen eine große Akzeptanz “, meint Karl-Heinz Hufnagel, Organisator der Paarmeisterschaft. 1993 wurden erstmals Deutsche Meisterschaften ausgeritten. Seinerzeit nahmen lediglich zehn Mannschaften teil, nun sind es bereits viermal so viel. Überwiegend aus Norddeutschland, aber auch aus Luxemburg und Kanada haben Teams für das Großereignis gemeldet. Sogar die deutsche Elite, erst vor wenigen Tagen von den Indoor Championships aus Göteborg zurückgekehrt, wird komplett vertreten sein. Die Vorbereitungen für das Saison-Highlight sind in vollem Gange: Im Juli blickt die weltweite Mounted Games-Anhängerschaft schließlich nach Bremen, wo dann in weltmeisterlicher Manier Strümpfe gesammelt werden sollen. Oliver Lück
Internationale Mounted Games Paarmeisterschaften: Sonnabend und Sonntag ab jeweils 9 Uhr; Turnierplatz am Weider Weg nahe des Hartenholmer Flugplatzes an der Bundesstraße 206
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen