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Großmutter im Vibroschock

■ Kunstausstellungen mit klassischer Moderne sind extrem aufwendig. Deshalb macht die Kunsthalle auch einen solchen Zinnober um ihren „Blauen Reiter“. Kandinsky reiste sogar mit Polizei-Eskorte durch das wilde Tatarstan

Weiße Mäuse?! Von wegen: Blaue Pferde! Am Mittwoch Morgen startete die Kunsthalle eine erneute Promotion-Großoffensive und verteilte 40 blaue Plaste-Ponies in der ganzen Stadt. Das penetrante Werben um potenzielle Kunsthallen-BesucherInnen soll die Ausstellung der „magischen Zahl 100.000“ näher bringen, wünscht sich die Organisatorin Christine Hopfengart. Irgendwie müssen die drei Millionen Mark ja wieder eingefahren werden, die für Münter, Marc und Kandinsky ausgegeben wurden.

„Man muss mal klar machen, warum so eine Ausstellung so viel Geld kostet“, sagt der Direktor der Kunsthalle, Wulf Herzogenrath. Neben der Versicherung ist der Transport ein Hauptkostenfaktor, denn Kunstwerke reisen erster Klasse. Sie werden von Kunstspeditionen und extra ausgebildeten „Kunstpackern“ in luftgefederten und klimatisierten Kunsttransportfahrzeugen herumkutschiert – teilweise begleitet von Kurieren der Ausleih-Institute, die wiederum extra kosten. Inlandskuriere haben ein Anrecht auf eine Übernachtung plus Tagesgeld – Auslandskuriere für drei Übernachtungen, wobei vor allem die Museen in Osteuropa die Gelegenheit zum bezahlten „Urlaub“ nutzen und fünf oder mehr Übernachtungen fordern. Für den Blauen Reiter mussten immerhin 27 Kuriere durchgefüttert werden. Auch die extra angefertigten Klimakisten und ihre verschärfte Variante, der „Vibro-Schock“ für besonders empfindliche Exponate haben ihren Preis. Sie garantieren, dass die Kunstwerke möglichst nichts von den Unannehmlichkeiten einer Reise wie Klima- und andere Schwankungen mitkriegen.

„Früher wurde das lockerer gehandhabt – die Bilder wurden einfach in Luftkissenfolien gepackt“, sagt Hopfengart. Bis in die fünfziger und sechziger Jahre wurde auch viel mehr ausgeliehen. Die Museen zierten sich noch nicht so, ihre großen Werke herauszurücken. „Man wollte mal zeigen, was man hat“ – ohne Rücksicht auf Verluste, erklärt sie. Die Bedenken der Restauratoren, die am liebsten alles an Ort und Stelle lassen würden, weil jede Bewegung und Veränderung einem Bild prinzipiell schade, wären nicht so ernst genommen worden wie heute.

Früher hätte es allerdings auch noch nicht so einen „Ausstellungszirkus“ gegeben, sagt Hopfengart. Heutzutage seien die Museen zunehmend auf Publikumsmagneten wie den Blauen Reiter angewiesen, um die mangelnde finanzielle Zuwendung auszugleichen.

Der „Zirkus“ verlangt eben auch besondere Attraktionen, und die müssen aus allen Winkeln der Erde herbeigeschafft werden. Zum Beispiel aus Kasan, der Hauptstadt von Tatarstan, 800 Kilometer östlich von Moskau. Bis der gute Kandinsky tatsächlich in der Kunsthalle eintraf, verging ein Jahr, erzählt Hopfengart. Nach einem langwierigen Vorgeplänkel über die Ausleihbedingungen, bei denen unter anderem verlangt wurde, dass die Kunsthalle den Versicherungswert von einer Million Dollar auszahlt, fing der Spaß erst an. Die Transportkiste passte nicht in den Frachtraum des Flugzeugs und in die Passagier-Kabine durfte sie nicht.

Schließlich fuhr Kandinsky mit Polizeieskorte durch das wilde Tatastan nach Moskau und von dort nach Petersburg, wo er zusammen mit anderen Blauen Reitern zur finnischen Grenze geschafft wurde. Von Helsinki ging es mit der Fähre nach Travemünde und von dort mit dem LKW nach Bremen.

Lohnt sich der ganze Zirkus denn überhaupt, zumal es den Bildern dabei an den Kragen beziehungsweise an die Malschicht geht? Kunsthallen-Leiter Wulf Herzogenrath zaubert einen Vergleich aus dem Ärmel: „Ein altes Bild ist wie eine Großmutter. So eine alte Dame kann man auch nicht einfach auf eine strapaziöse Reise nach Südamerika schicken. Aber wenn es um die Hochzeit der eigenen Tochter geht, dann kann man ihr das schon zumuten.“

Eiken Bruhn

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