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Kurzatmige Begeisterung

Die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik wirft der Bundesregierung Voreiligkeit und falsche Ziele vor: Der Aufschwung sei nicht nachhaltig und nutze nicht allen

aus Berlin BEATE WILLMS

Der wirtschaftliche Aufschwung wird in Deutschland komplett missverstanden. Das ist die zentrale Aussage des Memorandums 2000, das die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik gestern in Berlin vorgestellt hat.

Die vergleichsweise positiven Konjunkturprognosen würden in einer Art und Weise vermittelt, dass man „den Eindruck habe, die Wirtschaftspolitik könne sich begeistert zurücklehnen“, sagte Jörg Huffschmid, Wirtschaftsprofessor an der Universität Bremen. Nach Ansicht der rund 600 Wirtschaftswissenschaftler, die das Papier unterschrieben haben, ist das jedoch das Verkehrteste, was die Bundesregierung machen kann. So finde der Aufschwung in Ostdeutschland gar nicht statt, und im restlichen Land laufe er Gefahr, von einer falschen Stabilisierungspolitik wieder abgebremst zu werden.

Die alternativen Experten kritisieren vor allem die strikte Orientierung der Bundesregierung am Abbau der Staatsverschuldung und der Konsolidierung des Haushalts. „Die rot-grüne Bundesregierung hat sich mit ihrer Finanzpolitik von der Zieltriade Arbeit, Umwelt und soziale Gerechtigkeit gegenüber den Vorgaben im Koalitionsvertrag mittlerweile verabschiedet“, heißt es im Memorandum. Gleichzeitig drehe sie sich mit ihrem Sparpaket selber die Luft ab. Der Abbau von sozialen Sicherungen und öffentlichen Investitionen werde die Nachfrage so weit hemmen, dass das negative Auswirkungen auf Produktion und Beschäftigung haben müsse. Weil die Kosten der Arbeitslosigkeit aber einen der wesentlichen Posten im Bundeshaushalt ausmachen, würde das wiederum den Abbau der Staatsschulden unmöglich machen.

Dass die viel gelobte Steuerreform Wachstum und Beschäftigung so weit ankurbeln kann, dass sich der Schaden in Grenzen hält, halten die Ökonomen für unwahrscheinlich. Schließlich würden vor allem Spekulationsgewinne und der Verkauf von Kapitalbeteiligungen durch Kapitalgesellschaften begünstigt. Kein einziges neues Steuerprivileg sei dagegen an Investitionen in neue Arbeitsplätze gekoppelt. So könne die gesamte Reform kontraproduktiv wirken: Schließlich muss sie auch bezahlt werden. Dazu reichen nicht einmal die bislang zur Gegenfinanzierung vorgesehenen Streichungen bei den Abschreibungen aus. „Und es ist damit zu rechnen“, so Huffschmid, „dass Rot-Grün hier im Vermittlungsprozess noch einiges zurücknimmt.“

Das Gegenkonzept der Arbeitsgruppe: ein öffentliches Umwelt- und Beschäftigungsprogramm, das durch Vermögens-, Börsenumsatz- und Spekulationssteuern sowie einer Abschaffung des Ehegattensplittings und einer stärkeren Bekämpfung der Steuerhinterziehung finanziert werden soll. Huffschmid sprach von einer „Größenordnung“ von 230 Milliarden Mark.

Kommentar SEITE 11

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