: Das Leben der Margrit Schiller
Die Tochter einer Lehrerin und eines Bundeswehrmajors, heute 52 Jahre alt, engagierte sich während ihres Psychologiestudiums in Heidelberg in der Fixerinitiative „Release“, später im „Sozialistischen Patientenkollektiv“ – und dann in der RAF: „Ich hatte das Gefühl, mit anderen Mitteln mehr für eine lebenswerte Zukunft erreichen zu können.“
Sie ging in die Illegalität und kundschaftete Wohnungen und Banken aus. Wenige Monate später wurde sie nach einer Schießerei in Hamburg verhaftet, bei der ein Polizist von RAF-Mitglied Gerd Müller erschossen wurde und Ulrike Meinhof fliehen konnte. Wegen Unterstützung einer kriminellen Vereinigung, unerlaubtem Waffenbesitz und Urkundenfälschung wurde Margrit Schiller zu zwei Jahren Haft verurteilt. Die Vorführung vor der Presse beim Prozessbeginn sorgte für einen Skandal, als die 23-Jährige an Händen und Füßen in den Gerichtssaal getragen wurde.
Nach ihrer Entlassung ging sie erneut in den Untergrund, kam 1974 in Isolationshaft. Hinter Gittern beteiligte sie sich an mehreren Hungerstreiks. Weil sie kaum Durchhaltevermögen bei dieser Form des Protests zeigte, kam es zum Bruch mit der RAF: Die Genossen schlossen sie aus dem Infoverteiler aus.
Danach war Margrit Schiller doppelt isoliert: „Ich wurde mir selber zum Problem.“ 1979 wurde sie entlassen, war in antiimperialistischen Gruppen aktiv und organisierte Hungerstreikkomitees und Unterstützung für die RAF-Gefangenen – als eine der bestobservierten Leute in Deutschland. Aus Angst vor einer weiteren Verhaftung verließ Schiller 1985 überstürzt ihr Frankfurter Domizil und bekam in Kuba Asyl mit der Auflage, dort niemandem von ihrer Vergangenheit zu erzählen.
Eine schwere Zeit: Immer wieder brach sie den Kontakt zu Kubanern ab, die merkten, dass ihre Story nicht stimmte. Dann lernte sie einen einheimischen Jazzmusiker kennen, was ihre Lage erträglicher machte. Jetzt gab es einen offiziellen Grund für ihre Anwesenheit: „Dass ich als Exgefangene aus einem europäischen Land komme, kein Geld habe und nicht zurück kann, konnten sich die Leute dort nicht vorstellen.“ Sie wurde schwanger und hatte im achten Monat eine Totgeburt, was sie auch ihrer Haftzeit zuschreibt. Danach bekam sie Zwillinge.
Als in Europa die Mauer fiel, wurde die wirtschaftliche Lage in Kuba unerträglich. Margrit Schiller, die als Übersetzerin arbeitete, standen keine Bücher oder Papier mehr zu Verfügung. 1992 wollte sie im Rahmen der Kinkel-Initiative Kuba verlassen und nach Deutschland zurückkehren. Wegen der ausländerfeindlichen Anschläge in Rostock-Lichtenhagen änderte sie kurzfristig ihre Pläne („mit schwarzem Mann und Mischlingskindern in dieses Land – das wollte ich uns nicht antun“) und übersiedelte mit ihrer Familie nach Uruguay. Von ihrem Mann hat sie sich mittlerweile getrennt.
In Montevideo arbeitet sie heute als Deutschlehrerin, unter anderem für das Bertolt-Brecht-Institut, und organisiert Veranstaltungen zu Knast und Exil. Der Versuch, an der dortigen Deutschen Schule unterzukommen, scheiterte beim Vorstellungsgespräch – als der Direktor von ihrer Haftstrafe erfuhr, warf er sie raus.
Seit dieser Woche ist Margrit Schiller nach fünfzehn Jahren zum ersten Mal wieder zu Besuch in Deutschland. Sie liest heute Abend in der Volksbühne Berlin und am 15. Mai im Theaterhaus Stuttgart aus ihrem Buch Es war ein harter Kampf um meine Erinnerung (Konkret Literatur Verlag 1999, 272 Seiten, 39 Mark). Montag ist sie um 23 Uhr zu Gast in der ARD-Sendung „Beckmann“. ANKE RICHTER
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