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Halluzinierter Seelenfrieden

Mittendrin und hautnah: Suzanne van Lohuisens „Dossier: Ronald Akkerman“ als Theater im Wohnzimmer

Die Gastgeberin empfängt sehr herzlich und lotst den Besucher erst mal in die geräumige Küche, wo es Wein und Mineralwasser gibt. Man steht noch etwas unbeholfen und fremd zwischen Spüle und Herd und lächelt etwas verunsichert in die Runde.

„Sie machen sich einfach alle selbst bekannt“, sagt Maren Kroymann und lacht ein wenig. „Aber eigentlich ist das ja keine Party, denn im Theater lernt man die anderen Zuschauer auch nicht kennen.“

Die Schauspielerin Maren Kroymann ist neben den Komponisten Rainer Bielfeldt und Wolfgang Böhmer, dem Journalisten Matthias Frings, der Entertainerin Gayle Tufts und den Buchhändlern Peter Hedenström und Regine Kiepert eine von zehn Berliner (Semi-)Prominenten, die bislang ihre Wohnung für ein ungewöhnliches Theaterprojekt zur Verfügung gestellt haben. Warum ein Wohnzimmer auf der Bühne nachbauen, wenn man genauso gut auch in einem echten spielen kann? Das fragte sich der Schauspieler Lutz Gajewski und entwickelte mit der Regisseurin Sybille Kinke diese szenische Lesung von „Dossier: Ronald Akkerman“, einem Zweipersonenstück der Niederländerin Suzanne van Lohuisen.

Er ist tot und begraben, aber er lässt sie nicht los. Eine perfekte Krankenschwester wollte sie sein, aber sie hat es nicht geschafft, die Distanz zu wahren. Er sei ein Teil von ihr geworden, sagt sie. Eine Art Freund. Er war schwul und aidskrank, sie seine Krankenschwester und Hauspflege. Jetzt, da sie sich wieder und wieder in seine Krankenakte vertieft, verfolgt der Tote sie in einer Art Halluzination, kehrt zurück um Seelenfrieden zu finden und um „ein bisschen zu zanken“. Zwei Menschen rekapitulieren ihre Beziehung zueinander: die anfängliche Skepsis, das gegenseitige Misstrauen, die schwierige Phase der Annäherung. Schließlich lernen sie sich schätzen, respektieren und sogar ein wenig zu lieben. In den Monaten der Krankheit ist eine befremdliche Nähe zwischen ihnen entstanden, die die beiden Figuren nie gesucht haben. Ein klein wenig geht es auch den rund 25 Zuschauern, die nun auf Klappstühlen und Sesseln im Wohnzimmer von Maren Kroymann sitzen. Vor uns steht ihr Sofa, von behelfsmäßigen Scheinwerfern angestrahlt. Lutz Gajewski als Ronald mit Seidenmorgenmantel, die Pflegerin (Nomena Struß) noch im Wintermantel, eben erst von der Beerdigung zurückgekehrt.

Van Lohuisens Stück schützt sich vor sentimentaler Rührseligkeit mit schnellem Wechsel der Szenen und Perspektiven. Die beiden Akteure unterstützen diesen Ansatz mit ihrem prägnanten und eher kühlen Spiel. Es sind vielmehr die Wortgefechte, die uns berühren. Denen wiederum kann sich keiner entziehen. Die Zuschauer sitzen mittendrin: mitten in der Auseinandersetzung, mitten in einer fremden Privatsphäre – und erleben damit genau die im Stück gekennzeichnete Situation im wahrsten Sinne des Wortes hautnah mit.

Nach einer guten Stunde ist alles vorbei. Fast zumindest. Kaum einer verlässt gleich den Ort. Es besteht Gesprächsbedarf. Man trifft sich wieder in der Küche, greift zu den Oliven und unterhält sich. Ein junger Mann erzählt vom Aidstod seines Lebensgefährten, eine ältere Dame wie sie ihren schwerkranken Vater über mehrere Jahre pflegte. Im Wohnzimmer sitzt eine andere Gruppe auf den Klappstühlen und tauscht eigene Krankenhauserfahrungen aus.

Nur auf das Sofa setzt sich niemand mehr. Das bleibt, für diesen Abend, Bühne und Requisite. Erst am nächsten Tag wird es wieder ganz normales Mobiliar in Maren Kroymanns Wohnung sein. AXEL SCHOCK

Nächste Vorstellungen von heute bis zum 5. 5., u. a. bei Schauspielerin Adriana Altaras, den Geschwistern Pfister, der Aids-Aktivistin Cori Tigges, dem Regisseur Peter Lund sowie dem Autor Jürgen Bräunlein und den Bar-jeder-Vernunft-Betreibern Holger Klotzbach und Lutz Deisinger. Die Vorstellung kann auch für die eigene Wohnung gebucht werden. Kartenvorbestellung und Auskunft unter 6 94 87 54.

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