: Elektronik fesselt Straftäter
Erster Modellversuch hat gestern in Hessen begonnen: Bewährungsstrafen werden zu Hause abgesessen, Sozialarbeiter kontrollieren per Computer
FRANKFURT/MAIN taz ■ Fast andächtig präsentierte der hessische Justizminister Christian Wagner (CDU) gestern Nachmittag im Frankfurter Landgericht die elektronische Fußfessel. Hessen, betonte er, sei das erste Bundesland, in dem das Gerät im Modellversuch eingesetzt werde. Dass damit die drangvolle Enge in den Haftanstalten gebessert werden könnte, steht jedoch vorerst nicht in Aussicht. Auch Wagner versprach sich einen solchen Effekt erst in einem zweiten Schritt. Vorerst gehe es nur um eine verbesserte Kontrolle derjenigen Straftäter, die ohnehin zu Bewährungsstrafen verurteilt worden seien, und nicht darum, Kriminellen „gemütliche“ Wohnzimmerhaft bei „Fernsehen und einer Flasche Bier“ zu ermöglichen. Es entlaste, so Wagner, vor allem die Bewährungshelfer. Das schwarze Kunststoffband mit dem Minisender von der Größe einer klotzigen Digitalarmbanduhr kann bisher auch nur zu diesem Zweck verwendet werden. Für alles andere fehlt die gesetzliche Grundlage auf Bundesebene.
Die Fußfessel ist mit einer an das Telefon angeschlossenen Data-Box verbunden und signalisiert jede unerlaubte Entfernung des Probanden aus seiner Wohnung. In der zentralen Datenverarbeitung in Hünfeld wird jede Abweichung von einem vorher eingegebenen Bewegungsprofil nebst Zeitplan mit Arbeitswegen und -zeiten von drei Sozialarbeitern überwacht. Richter müssen die Maßnahme anordnen und der Delinquent einverstanden sein. Ein Merkblatt warnt die Betroffenen vor Manipulationen: „Das System ist heilig!“ Auch dessen Zerstörung werde sofort registriert: „... und wenn es das Letzte ist, was es meldet.“ Der rund 780.000 Mark teure Versuch wird vom Freiburger Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht ausgewertet und mit Kontrollgruppen verglichen werden.
In den USA ist die Elektronikfessel seit über zehn Jahren Bestandteil des Strafvollzugs. Sie wird vor allem Ersttätern angelegt, die so in Freiheit bleiben dürfen und die Kosten für die Überwachung selbst tragen müssen. Auch aus Schweden, Großbritannien und der Schweiz melden die Behörden trotz anfänglicher Proteste positive Erfahrungen. In Deutschland will sich Baden-Württemberg dem hessischen Modellversuch anschließen. Hamburg will die Fessel auch als Ersatz für geringe Haftstrafen einsetzen. HEIDE PLATEN
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen