Open minded

■ Der Bremer Komponist Andreas Salm überschreitet die Musikgrenzen zwischen E und U

Wenn französische und deutsche Musik Genre-Grenzen zu überspringen droht, macht es oft einen grusligen Plumps – siehe Neutöner Franz Hummel mit seinem König-Ludwig-Musical. Bei den Anglo-amerikanern hat man längere Erfahrung und entsprechende Eleganz im stilistischen Grenzverkehr. Der wunderbare Avantgarde-E-Gitarrist Bill Frisell etwa covert schon mal Aaron Copland, Madonna, Charles Ives und traditionelle Marschmusik hintereinander, als hätte man ihm die Unterscheidung zwischen U und E aus dem Hirn lobotomiert. Und Mark-Anthony Turnage, immerhin Hauskomponist der Londoner Oper, erfreut die Menschheit stets aufs Neue durch knackige Aperçus wie: „Was Miles Davis 1958 gemacht hat, ist sowieso von ungleich größerer Bedeutung als irgendetwas von den Darmstädtern“ – was gegen die Stockhausen-Boulez-Connection stänkert. Und nicht mal wegen seines Herbie-Hancock-Fantums schämt sich Turnage.

Diese quasi Goetheanische Musizierhaltung des Erlaubt-ist-was-gefällt kommt Andreas Salm sehr entgegen. Und so erlebte er jene drei Monate, die er kürzlich als „Composer in residence“ an der Universität Birmingham verbringen durfte, als Bestätigung seines eigenen Pendelns zwischen unterschiedlichen musikalischen Welten. Seine Stücke für großes Or-chester oder für Streicher und Saxophon passen durchaus in den Kanon zeitgenössischer Musik. Sein Projekt „Moonchild“ dagegen bezeichnet er als Chanson-nah und tritt damit lieber im KITO als in der Glocke auf. Begonnen aber hat sein Werdegang ganz klassisch.

1974 fing er an – gerade mal zarte 17 – Klarinette in Hannover zu studieren. „Das war die Zeit der Vollbeschäftigung, da wäre kein Mensch auf die Idee gekommen, sich über berufliche Sicherheit Gedanken zu machen.“ Bald ergatterte er einen Stuhl im Bundesstudentenorchester, aus dem später die Deutsche Kammerphilharmonie hervorgehen sollte. „Ich muss mal recht gut gewesen sein“, erinnert sich Salm nicht ganz ohne Wehmut. Sein Klarinettenlehrer Hans Deinzer forcierte Salms Interesse an zeitgenössischer Musik. Und so machte er sich mit dem Bremer „ensemble ad libitum“ auf akustische Erkundungsreise.

Irgendwann in den 80ern lautete seine Selbstdefinition immer weniger „Klarinettist“, immer mehr „Komponist“. Die damit verbundene zerkarstete Erwerbssituation nahm er lieber in Kauf als ein Beamtendasein in einem Staatsor-chester. Einige Arbeitsstationen: 1983-88 Bühnenmusik am Westfälischen Landestheater in Castrop-Rauxel; 1984 Vertonung von Texten des nicaraguanischen Befreiungstheologen Ernesto Cardenal im Auftrag von Radio Bremen; 1984-85 gelegentlich Bühnenmusik für die Shakespeare Company; Lehrauftrag an der Bremer Hochschule für Künste; 1994 Aufführung des Balletts „Mandala“ innerhalb des musica-nova-Festivals von Radio Bremen.

Es war einer jener klassischen Zufälle, die freie Biografien zu regieren pflegen, die Salm im September '99 nach England führten: Im Internet – typisch – stießen dort irgendwelche Leute auf seine 6-Minuten-Kinderoper „Space“, mit der er bei einem Wettbewerb im polnischen Posen reüssierte – und luden ihn nach Birmingham ein. Dort unterrichtete er Komposition in Form von Gesprächszirkeln, wo über die Stücke von Lehrern, Studenten und Dritten in offener Form diskutiert wurde. Gewohnt hat er bei Mark Lockett, der für Salm bald zu einem Symbol jener Open-mindedheit wurde, die er sich für Deutschland so sehr wünscht. Lo-ckett war Solocellist im britischen Landesjugendorchester, Schlagzeuger in einer Punkband in L.A., Pianist für Neue Musik und spielt Samba, indische und balinesische Musik, was ihn zum Leiter der Weltmusikabteilung der Uni Bir-mingham qualifizierte. „Hierzulande wäre diese gewundene Biografie ein Makel“, meint Salm. Mit Unterstützung der Musikschule Cuxhaven, bei der er einen Teil seiner Brötchen verdient, konnte er acht seiner Birminghamer Musikstudenten nach Bremen einladen. „Dumm nur, dass ausgerechnet die Einladung eines Studenten mit taiwanesischem und mit tatschikischem Pass an den deutschen Visumsbedingungen scheiterte.“ Kein open mind hierzulande. bk

5. Mai, 20  Uhr, Stadtwaage, Langenstr.: „Neue Musik aus England“; 6. Mai, 11 Uhr Gesprächskonzert in der HfK, Dechanatsstr.