village voice
: Tarwater haben eine neue Platte gemacht: „Animals, Suns & Atoms“

MELANCHOLISCHE MONOLITHEN

Diese Platte, die neue von Tarwater, beginnt mit einem verloren klingenden Gewurschtel aus verzerrten Tönen, elektronischen Geblubber und Gekreische, das schließlich in einem seltsam körperlosem Elektro-Beat mündet, über dem Ronald Lippok mit einer lakonischen Stimme wie der kleine Bruder von Lou Reed eher erzählt als singt. Davon erzählt, dass alle Ameisen Paris verlassen haben.

Zwischen diesen beiden Polen bewegt sich „Animals, Suns & Atoms“ fortan so konsequent wie keine Tarwater-Veröffentlichung vor ihr. Lippok und sein Partner Bernd Jestram finden zwar für jeden der elf Songs einen fest abgezirkelten Entwurf, der scheinbar niemals in Frage stand, sie behauen einen melancholischen Monolithen nach dem anderen, aber viele Stücke beginnen mit einem Suchen und enden in einer Art Selbstauflösung, als sollte dokumentiert werden, wie die Musik überhaupt erst zu sich gekommen ist.

Diese Transparenz bricht erfolgreich die manchmal arg strengen Formen und löst die zwar stets schön klingenden, aber manchmal etwas hochnäsigen Arrangements auf. So reproduzieren sie auf ihrem mittlerweile vierten Album nicht nur die von ihnen bekannten, stets beherrscht und getragen rollenden Impressionen, die die Atmosphäre in mancher neuen Bar in Berlin-Mitte zu ironisieren scheinen. Nein, nicht nur das: Erstmals könnte man Tarwater wohl auch bei einem Picknick in der Frühlingssonne hören, ohne zu frösteln. So wirkt diese Musik, als würden Jestram und Lippok warten, bis ihnen die Töne zufallen, was auch ihre Arbeitsweise im wahren Leben recht treffend beschreibt.

Die so entstehende Diskrepanzen machen den hauptsächlichen Reiz dieser Musik aus. Scheint sie sich doch nicht entscheiden zu können oder zu wollen zwischen dem ständig fließenden Prozess, der die Herstellung elektronischer Musik nun mal ist, und dem Format Pop, das vorgibt etwas Endgültiges zu haben, an dem man sich und sein Leben zumindest eine Zeitlang festmachen kann. Soll heißen: Es gibt wunderschöne Melodien und Stimmungen, die die Musik malt, zu denen der Mensch Gefühle haben kann, sich in Beziehung als Mensch setzen kann. Einerseits. Andererseits sind manche Passagen demonstrativ seelenlos und kalt, als sollte der elektronische Charakter der Musik in die Erinnerung zurückgerufen werden.

Erstmals haben sie nicht vorzugsweise literarische Texte adaptiert, sondern Lippok hat alles, was er singt, auch selbst geschrieben. Nach einem Erzähler-Ich sucht man aber trotzdem vergebens: Seine Texte bleiben so distanziert und lakonisch wie seine Stimme. Niemals gerät er in Versuchung, Tagebucheintragungen zu vertonen, sondern immer kreist er um einige wenige Schlüsselworter, die vor allem lautmalend eingesetzt werden. Die kargen Geschichten, die Lippok erzählt, wirken niemals wie selbst erlebt, sondern wie in der Zeitung gelesen, wie schon tausendmal gehört, wie im Kino gesehen, wie Zitate eben: Soul für Intellektuelle.THOMAS WINKLER

Tarwater: „Animals, Suns & Atoms“ (Kitty-Yo/EFA)