piwik no script img

Unter der Haut

Im Mikrokosmos zukünftiger Realitäten: Der dritte Architektur Sommer in Hamburg  ■ Von Ulrike Bals

Mit der Architektur ist es so ähnlich, wie mit unserer Haut. Unausweichlich umgibt sie uns, gleichsam das Äußere und Innere trennend, wie verbindend. Doch obwohl wir uns ständig in ihr aufhalten, nehmen wir sie kaum wirklich wahr. Es sei denn, ihre Funktion ist gestört: Beulen und Narben genießen unsere ungeteilte Aufmerksamkeit.

Ein Missstand, dem die Initiative Hamburger Architektur Sommer e.V. seit 1984 alle drei Jahre entgegen zu wirken sucht. Mit einem in ganz Deutschland einzigartigen Festival soll ins Bewußtsein einer breiteren Öffentlichkeit rücken, was allzu lange nur einem elitären Kreis aus Planern, Investoren und amtlichen Entscheidungsträgern vorenthalten blieb. Architektonische Visionen, als die gebaute Realität von Morgen, betreffen uns schließlich alle.

So bildet das Experiment Zukunft an der Schwelle des neuen Jahrtausends auch den Schwerpunkt des 3. Hamburger Architektur Sommers, der heute Abend in den Deichtorhallen feierlich eröffnet wird. Über 60 Ausstellungen, Vorträge und künstlerische Aktionen stehen von Mai bis September auf dem abwechslungsreichen Festival-Programm.

Welche politische, soziale und ästhetische Sprengkraft nach wie vor dem Thema Haus innewohnt, beweisen die 35 künstlerischen Positionen der Ausstellung HausSchau – Das Haus in der Kunst in den Deichtorhallen. Da seziert Gordon Matta-Clark etwa Bauwerke, löst ihre Fassaden ab, wie eine Epidermis und verwandelt Orte in Geisteszustände. Oder die Britin Rachel Whiteread lässt in London ein Abrisshaus komplett mit Beton ausgießen. Das Innere von „House“ wird im Moment des Abbruchs sichtbar – gewissermaßen als materialisiertes Vakuum.

Von den Bauwerken in denen die Kunst Raum nimmt, handelt wiederum die Ausstellung Museen für ein neues Jahrtausend: Ideen, Projekte, Bauten, ab Ende Mai in den Deichtorhallen zu sehen. Weltweite Museumsarchitektur des letzten Jahrzehnts, wie etwa das Guggenheim Museum von Frank Gehry in Bilbao oder die Fondation Cartier von Jean Nouvel in Paris wird exemplarisch vorgestellt, als die „Baugattung“ in der sich „architektonische Ideeen nahezu in Reinstform“ verwirklichen lassen.

Der erste Spatenstich für die zukünftige HafenCity ist bereits für 2001 geplant. Das ehrgeizige Projekt des ehemaligen Oberbaudirektors Kossak, ein ganzes Stadtquartier zwischen Kehrwiederspitze und Elbbrücken aus dem Hafenbecken zu stampfen, dokumentiert die von der Stadtentwicklungsbehörde initiierte Ausstellung HafenCity – Das Zukunftsprojekt für Hamburg. Einen Dämpfer verpasst der euphorischen Gründerstimmung allerdings die TU Hamburg Harburg vom anderen Ufer der Elbe. Mit der Tagung Großprojekte in der Stadtplanung – die Hafencity im internationalen Vergleich wird kritische Bilanz gezogen.

Einen schwereloseren Zugang zum Thema Zukunft, eröffnet das Landart-Projekt Hamburger Firmamente des Berliner Künstlers Rainer Gottemeier. Eine astronomische Lichtinstallation hinterfragt als oberflächliche Spiegelung auf dem Stadtparksee unsere gewohnte Sicht der Dinge – und ist zugleich eine Reminiszenz an die Forschungen des Kunsthistorikers Aby Warburg.

Ebenfalls im Freien experimentiert an fünf besonderen Orten der Stadt das Gartenlabor Hamburg. Im Ponton-Park verwandelt Ando Yoo das Spreehafenbecken Berliner Ufer in eine amphibische Garteninstallation. Welcher Geist allerdings seine mit Hannes Främcke und Johann Popp inszenierte Intervention Taubenpest am Brutfelsen Lessingtunnel beflügelt, bleibt abzuwarten.

Eine andere Sicht auf die Stadt bietet auch das Abaton mit Hamburg im Film, während das Metropolis mit der Reihe FilmStadtArchitektur den Stadtraum teilweise selbst zur Leinwand werden lässt. Dass räumliche Grenzen ohnehin beliebig sind, erfahren wir spätestens im Literaturhaus bei der Vortragsreihe innen/außen. Bleibt letztlich die schlichte Erkenntnis von Architektur als unsere zweite Haut.

Hamburger Architektur Sommer 2000, feierliche Eröffnung, 5. Mai, Deichtorhallen, 19 Uhr. Infos zum Programm unter Tel. 44 18 41 15

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen