piwik no script img

Spaniens weißer Tagtraum

Real Madrid dominiert das Hinspiel im Halbfinale der Champions League gegen den FC Bayern. Die Münchner laufen nach dem 0:2 Gefahr, die erste von drei Titelchancen zu verspielenaus Madrid REINER WANDLER

Es war eine Premiere. Über das versteinerte Gesicht von Real Madrids Coach Vicente del Bosque huschte ein Lächeln. Denn Vergeltung kann so schön sein. Und wenn der Sieg dann auch noch in einem Halbfinalspiel gegen jene Mannen vom FC Bayern München gelingt, die Real Madrid in den beiden Gruppenspielen mit acht Gegentoren wie Anfänger aussehen ließen, dann gibt es selbst für den sonst so kühlen Trainer der Weißen kein Halten mehr.

Alles war „wundervoll“: der Rhythmus des Spiels, der Aufbau und die Ordnung in der Mannschaft und die Intensität des Ablaufs. „Das eigene Tor sauber halten gegen einen Kontrahenten wie die Bayern, das ist nicht einfach. Eigentlich hätten wir noch besser abschließen können“, steigerte del Bosque seine Begeisterung über das 2:0.

Alles ist wunschgemäß gelaufen. Nach dem Viertelfinale gegen Manchester United bestätigte sich am Mittwochabend im Stadion Santiago Bernabeu einmal mehr die ungeschriebene Regel, nach der Real Madrid, ganz egal wie die Leistungen in der Liga aussehen, in Europa über sich selbst hinauszuwachsen vermag. Die Abwehr – bei den beiden Gruppenspielen gegen Bayern noch die Achillesferse des Teams – stand wie eine Wand. Das gelang in der laufenden Saison kaum. Und selbst der allseits kritisierte Stürmer Nicolás Anelka zeigte, warum er noch vor wenigen Monaten für viele zu den besten Spielern des Kontinents gehörte.

Anelka brachte die Madrider bereits in der 3. Minute in Führung. Eine halbe Stunde später setzte dann Jens Jeremies unter dem Druck des Angriffs von Raúl und Michel Salgado zum Eigentor an. Die Bayern liefen nur noch hinterher und konnten mit einer Verstärkung ihrer Abwehr Schlimmeres verhindern.

Vicente del Bosque träumt nun den Traum vom rein spanischen Champions-League-Finale. Und mit ihm träumt ganz Spanien. Auch wenn die Wunschbegegnung, Real Madrid – FC Barcelona, an der schwachen Leistung der Blau-Roten aus dem Norden beim zweiten Halbfinalhinspiel vom Dienstag scheitern dürfte, ein Endspiel der beiden in Weiß spielenden Klubs, Real Madrid und FC Valencia, wäre auch ein nie dagewesenes nationales Spektakel, ausgetragen auf höchster internationaler Bühne, dem Stade de France in Paris.

„Spaniens Fußball ist der beste Europas“, jubelt längst die einheimische Sportpresse. „Doch das Halbfinale besteht aus zwei Spielen. Und die Bayern können uns zu Hause übertreffen“, sagte del Bosque, der trotz des „idealen Ergebnisses“ schnell zur üblichen Besonnenheit zurückfand. Er möchte noch immer nicht daran denken, dass der achte Europapokal greifbar ist.

Nach der ersten Freude war der Trainer von Real wieder ganz der Alte. In sich gewandt, grübelte er. Worüber, das sagte nicht er, sondern Bayern-Stürmer Paulo Sergio: „Real Madrid hat nicht anders gespielt als beim letzten Mal“, beurteilte der Bayern-Stürmer die Leistung des siegreichen Gegners. Nur bei den Münchnern, da habe einfach ein Mann im Mittelfeld gefehlt – der verletzte Stefan Effenberg. Sicher ist das nur die halbe Wahrheit. Nicht nur das Mittelfeld, die gesamte Bayern-Elf bot ein unorganisiertes Bild. Der 18-jährige Real-Keeper Iker Casillas kam nur zweimal in Bedrängnis, als Giovane Elber schoss und Thorsten Fink köpfelte.

Auch Bayern Trainer Ottmar Hitzfeld hat „keine zwingende Torchance“ gesehen. „Wir konnten nicht mithalten“, gab Hitzfeld unumwunden zu. Seiner Mannschaft habe es an Sicherheit gefehlt. „Wir brauchten zu viel Kraft, um den Ball zu erobern, und wenn wir ihn hatten, haben wir ihn zu schnell wieder verloren“, lautete seine knappe Analyse.

Die von Hitzfeld erwartete „Leistungsexplosion“ blieb aus. Dennoch will er, der einst Borussia Dortmund zum Sieg in der Champions League führte, die Hoffnung nicht aufgeben, obwohl „wir uns gewaltig steigern müssen“. Nahziel sei jetzt das Pokalendspiel am Wochenende gegen Werder Bremen im Berliner Olympiastadion. „Wir brauchen das Erfolgserlebnis, um uns kräftemäßig besser regenerieren zu können“, sagte er.

Wenn es nach den Zuschauern der Übertragung bei tm 3 geht, dann wird daraus nichts. Bei einer Internet-Umfrage war für 71 Prozent klar: Bayern holt dieses Jahr keinen einzigen Titel.

Real Madrid: Casillas - Helguera - Salgado, Campo, Karanka, Roberto Carlos - McManaman, Redondo - Raúl - Morientes (61. Savio), Anelka (80. Balic) FC Bayern München: Kahn - Jeremies - Babbel, Linke - Salihamidzic (78. Santa Cruz), Fink, Tarnat (46. Wiesinger), Lizarazu - Scholl - Elber (78. Jancker), Sergio Zuschauer: 70.000; Tore: 1:0 Anelka (4.), 2:0 Jeremies (33./Eigentor)

Zitat:Trainer Ottmar Hitzfeld: „Wir brauchen das Erfolgserlebnis, um uns kräftemäßig besser regenerieren zu können.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen