: Schröder träufelt den heißen Stein
Der Kanzler spendiert den Hochschulrektoren 50 Millionen Mark für ihre Informatikstudiengänge. Die Überlastung der Unis aber ist damit nicht zu bekämpfen. Der Chef der Informatiker: Studenten nicht mehr adäquat auszubilden
von CHRISTIAN FÜLLER
Wenn’s politisch irgendwo brennt, dann fährt Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) gerne höchstpersönlich das Löschauto vor. So tat er es auch gestern. Schröder nutzte die Jahresversammlung der Hochschulrektoren in Wiesbaden dazu, den siechen Informatikstudiengängen 50 Millionen Mark zu spendieren. Die Wahrheit über das große Tatütata des Kanzlers ist eine andere: Die Millionen, die Schröder verspritzt, sind zu wenig und kommen spät. Bei den beteiligten Ressorts wie in den Informatikfachbereichen liegt die Stimmung über Löschmeister Schröder irgendwo zwischen Kopfschütteln und Zähneknirschen.
„Das ist ein Tropfen auf dem heißen Stein“, kommentierte der Vorsitzende der Informatik-Fachbereiche in Deutschland das Feuerwehrprogramm. Karl Hantzschmann lobte den Einsatz zusätzlichen Geldes zwar. Aber er baute gegenüber der taz zugleich dem Missverständnis vor, mit dem neuen Geld wäre der Mangel an Software-Ingenieuren und hoch qualifizierten Informatikern zu beheben. „Das Geld reicht nicht, um die Informatik-Fachbereich personell zu stärken“, sagte Hantzschmann. Eine adäquate Ausbildung von Informatikstudierenden sei derzeit nicht zu gewährleisten.
In der Tat ist die Situation an den akademischen Ausbildungsstätten für Informatiker so schlecht wie selten. Die Studenten rennen den digitalen Fächern an den Unis die Bude ein – aber die sind dem in personeller und sachlicher Hinsicht überhaupt nicht gewachsen. Die Auslastung der Studienplätze liegt bei den 50 deutschen Informatik-Fachbereichen teilweise bei über 200 Prozent. Auf deutsch: Zwei Studis müssen sich einen Studienplatz teilen. Die Technische Universität Berlin etwa versucht gerade 540 Studienanfänger in Informatik auszubilden, hat aber nur für 200 Frischlinge Dozenten.
Während für ausländische Software-Ingenieure eine Green Card eingeführt wird, beschränken hierzulande die ersten Universitäten bereits wieder den Zugang zum Informatik-Studium. In Bruchsal, Stuttgart, Postdam und Mannheim wird die Zahl der AnfängerInnen bereits über einen Numerus clausus verringert. In Berlin wird noch im Mai darüber entschieden, ob die drei ansässigen Unis wieder die Zulassungszahlen kappen.
„Es ist ein absoluter Irrwitz“, klagt der Verwaltungschef an der Informatik der TU Berlin, Horst Bamberg. Während ausländische Fachkräfte angeworben werden, fehle es hier am Nötigsten. „Die Politik lässt uns im Stich, wir können nicht so weitermachen“, beschreibt Bamberg die Personalsituation an seinem Fachbereich. 170 wissenschaftliche Mitarbeiter habe der Fachbereich noch vor wenigen Jahren auf seiner Gehaltsliste – jetzt sind es nur noch 80 AssistentInnen.
An der universitären Mängelverwaltung der Zukunftsbranche EDV sind Bund und Land gleichermaßen schuld. Von den ehemals 170 Assistenten der TU-Informatik beispielsweise bezahlte das Land Berlin 120 und der Bund gab aus einem Hochschulsonderprogramm Mittel für weitere 50 hinzu. Doch genau dieses Programm lief voriges Jahr aus. „Das Ende des Programms“, resümiert der Chef der deutschen Informatikfakultäten, Hantzschmann, „hat vor allem im Westen tiefe Lücken gerissen.“
Um auf den Missstand hinzuweisen, hat sich Hantzschmann, der wegen Überlastung an seinem Informatik-Fachbereich in Rostock die Einführungsvorlesung zweimal hintereinander abhält, die Finger wund geschrieben: An den Kanzler und an die 16 Wissenschaftsminister der Länder schickte er Brandbriefe. Tenor: Tut etwas, sonst kann die Informatik dem Studentenansturm nicht gerecht werden.
Karl Hantzschmann hat nie eine Antwort vom Kanzler erhalten. Bis gestern. Da sagte Schröder in Wiesbaden, er wolle in den Universitäten und Fachhochschulen „die Studienangebote in der Informatik fortentwickeln“. Der Bund sei bereit, so sagte der Kanzler, „sich daran mit 50 Millionen Mark zu beteiligen“.
Was Gerhard Schröder nicht sagte, war dieses: Das Sonderprogramm der alten Regierung unter Helmut Kohl hielt für den gleichen Zeitraum 1,3 Milliarden Mark zur Verbesserung der Strukturen an den Hochschulen bereit. Allein für die Informatik gab der Bund damals 120 Millionen Mark.
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