: Würdevoll um Liebe flehen
Mit seinem Album „Sweet Blue Gene“ erweist sich der englische Sänger und Songwriter Michael J. Sheehy als würdiger Nachfolger des späten und desillusionierten Elvis Presley
von MAX DAX
London bei Nacht, vor genau einem Jahr. Eine Filmproduktionsfirma gibt im Nordosten der Stadt eine Party, auf der es viel zu trinken gibt. Auch Michael J. Sheehy und Andrew Park, der Sänger und der Bassist der lauten, aber erfolglosen Londoner Rockband Dream City Film Club, sind unter den Gästen. Sheehy und Park, dem Freibier zugetan, unterhalten sich zunächst ganz angeregt, dann streiten sie sich. Schließlich eskaliert die Auseinandersetzung zu einer handfesten Prügelei. Die beiden hielten das öfters so, heißt es, schließlich wären sie voneinander abhängige und doch unversöhnliche Antipoden eines geschlossenen Systems.
Konzerten des Dream City Film Clubs hatten diese Spannungen stets gut getan, führten sie doch zu intensiven, beeindruckenden Darbietungen. Mit ihrem stehenden Gitarrenlärm und ihren auf halbes Tempo reduzierten Punkrock-Arrangements wirkte die Band bedrohlich wie ein Insekt, das sein Opfer erst fixiert und dann zuschnappt.
Michael J. Sheehys beeindruckende Präsenz, fast bewegungslos mit schwarzem Anzug und kurz geschorenen Haaren, dazu seine klagende Stimme und eine ambivalente, ihn umkreisende Todessehnsucht, trugen dem 27-Jährigen respektvolle Vergleiche mit Hank Williams und dem desillusionierten, späten Elvis Presley ein. Der Dream City Film Club ist heute, nach zwei Alben, Vergangenheit. Dem nächtlichen, alkoholgetrübten Streit in den Räumen der Londoner Filmproduktionsfirma folgten weitere, heftigere und schließlich die Auflösung einer der viel versprechendsten Rockbands der ausgehenden Neunziger.
„Sweet Blue Gene“ hat Sheehy, immer noch kahl geschoren und Anzugträger, sein erstes Solo-Album genannt. Noch bevor die Band in Flammen aufgegangen war „wie das Pornokino, nach dem wir uns benannt hatten“, so Sheehy, hatte er im Spätsommer 1999 erste Songs mit befreundeten Musikern aufgenommen. Die zehn Songs auf seinem Solo-Debüt sind mehrheitlich getragene, fast kammermusikalische Lieder und verzichten auf die zum Markenzeichen gewordene ruppige, ungehobelte Drogenrock-Energie seiner einstigen Band.
Als habe er nun endlich sein Talent als Schreiber fatalistischer Geschichten entdeckt, wälzt sich Sheehy zärtlich in Selbstbetrachtungen, Sinnsuche und Sarkasmus. Ein Song wie „Everything Is Beautiful“ etwa erzählt die Geschichte eines Kinobesuchers, der sich in der brutalen Narration eines untertitelten Films („Dubbed in German, subtitled in Greek/With their mouths always open but rarely to speak“) verliert. Andere Songs bewegen sich in Demut, sei es, wenn auf das traditionelle irische Kirchenlied „Were You There When They Crucified My Lord?“ verwiesen wird, oder sich Sheehy direkt an den Heiland wendet: „Oh sweet Jesus, I really messed up this time.“
Dass Michael J. Sheehy keinen Hehl daraus macht, wie sehr er jenen Elvis Presley verehrt, der in seltenen Momenten und im Angesicht seines nahenden Karriereendes derart würdevoll um Liebe flehte, dass einem angst und bange werden konnte, tut der Qualität seines Gesangs und seiner Lieder keinen Abbruch.
Unterproduziert und bis aufs Mark reduziert, sind Sheehys Songs Ausdruck eines von Grundtraurigkeit Durchdrungenen. Vielleicht nährt sich Sheehys Wesen von der Erkenntnis, dass es zwar Traurigkeit gibt auf dieser Welt, aber keinen Trost. Das hat zwar auch schon Nick Cave erkannt, und mit ihm unzählige andere Sänger auf des Messers Schneide, doch ändert dies nichts an der Richtigkeit der Erkenntnis. Auf dem Cover lächelt Michael J. Sheehy übrigens.
Will sagen: Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Auch so eine Erkenntnis, die man aus dem Album „Sweet Blue Gene“ ziehen kann. Und dann diese Geigen!
Michael J. Sheehy: „Sweet Blue Gene“ (Beggars Banquet)
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