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Trip in Hitlers Reich

Der Deutschtürke Serdar Somuncu rezitiert „Mein Kampf“. Alle lachen. So entzaubert der Schauspieler die nationalsozialistische Ikone

von ANNETTE ROLLMANN

Der Mann ist kahl geschoren. Er trägt Jeans und T-Shirt. Nur ein Tisch steht vor ihm. Plötzlich verzerrt sich sein Gesicht zu einer Fratze. Schreiend donnert er in den Zuschauerraum: „Gleiches Blut gehörrrt in ein gemeinsames Rrrreich.“

Dann ist es wieder still, lange fünfzehn Sekunden.

Der Deutschtürke Serdar Somuncu liest aus Hitlers „Mein Kampf“. 55 Jahre nach dem Ende des Krieges ist dieses Buch in Deutschland noch immer verboten. In fast jeder anderen Sprache der Welt ist es hingegen erhältlich. „An dem Verbot sieht man, wie wir Deutschen es noch immer schwer mit dem Buch haben“, sagt Somuncu. Dann trägt er wieder Passagen im kehligen Ton Hitlers vor.

Anlässlich des 8. Mai trat Somuncu gestern bei den Ausstellungsmachern von „The Story of Berlin“ auf. Mit der Lesung „Mein Kampf“ tourt er seit 1996 durch Deutschland. Auch, wie er ironisch anmerkt, in den „national befreiten Zonen“ Ostdeutschlands. „Für mich ist der größte Erfolg stets, wenn die Neonazis im Publikum merken, was für ein Schwachsinn ihre Ikone geschrieben hat, und sich keine halblederne Geschenkausgabe für 10.000 Mark besorgen“, erzählt der 31-Jährige.

Der Schauspieler, der auch als Regisseur arbeitet und das Kammerensemble Neuss gegründet hat, ist weder ein Neonazi, noch steht er der rechten Szene nahe. Er will mit Hitler „den Mythos Hitler“ zerstören. Und das gelingt ihm. Er winselt selbstmitleidig, er nestelt, er schweigt und er schreit: „Fink zu Fink, Meise zu Meise, Storch zu Störchin!“ Erbäumt sich auf, um dann wieder zu einem kleinen Mann zusammenzusinken. „Und so weiter – ab!“

„Verstanden?“, fragt Somuncu und wechselt mit einem schnellen Schnitt in die Rolle des Interpreten. Er entzaubert Geschichtsgötzen mit lächlerlichen Textpassagen. Er ahmt Rudolf Heß nach, der beim Diktat von Hitlers unsinnigen Aneinanderreihungen – „die kein Mensch versteht“ – kaum mitkam und Sätze deshalb dauernd enden ließ mit „. . . und so weiter – ab!“. Somuncu: „Das Buch ist nicht geschrieben, sondern geschrien.“

Gleichwohl klammert Somuncu nicht aus, dass dort auch programmatische Sätze zu finden sind. Kurz und knapp und versteckt. An einer Stelle heißt es, dass man sich „gegen Giftgas mit Giftgas wehren“ müsse.

Somuncu lässt die absurde Sprachgewalt Hitlers wieder auferstehen und nimmt ihre demagogische Wirkung, indem er die Zuschauer zum Lachen bringt. Jedwede Überhöhung, eben auch die negative, zerstört er damit. In der heutigen Zeit könne man die Verantwortung für die Vergangenheit nicht mit „Betroffenheitsgetue“ annehmen, sondern müsse andere Wege der Auseinandersetzung finden: Eine Möglichkeit sei die Enttabuisierung. Gleichwohl geht es für Somuncu um die Kontinuität des Abtragens von Schuld: „Und die währt ewig“, sagt er.

Das Verbot des Buchs hat nach Ansicht von Somuncu dem „wirren Werk“ erst zu seinem Mythos verholfen. Somuncu darf nur mit Genehmigung durch das bayerische Finanzministerium, das die Urheberrechte besitzt, daraus lesen. Fast immer ist die Polizei bei seinen Lesungen anwesend. Die Beamten müssen ihn schützen, Antifas und Neonazis gegebenenfalls voneinander trennen.

Regelmäßig gebe es vor Auftritten Anrufe bei Veranstaltern mit Drohungen wie: „Wenn das Türkenarsch heute den Führer verunglimpfen darf, bringe ich ihn um.“ Kennen tut das Werk hingegen kaum jemand. Zurück bleibt dennoch die Frage, die Somuncu gleich am Anfang den Zuschauern stellt: „Wieso kam diese Lachnummer names Hitler so weit?“

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