: Zivile Unterbesetzung
Sollte nur noch jeder Fünfte einberufen werden, bricht bei zivildienstabhängigen Sozialträgern personeller Notstand aus
BERLIN taz ■ Verbände und Sozialpolitiker warnen seit langem vor der Zivi-Lücke. Doch die nun bekannt gewordenen Vorschläge der Zukunftskommission der Bundeswehr könnten gleich das ganze Sozialsystem der Bundesrepublik ins Wanken bringen. Für einen „Auswahl-Wehrdienst“ sollen nur noch 30.000 Wehrpflichtige einbezogen werden. Bei einer Wehrpflichtdauer von zehn Monaten müsste von 400.000 Männern eines Geburtenjahrgangs nur noch der kleinste Teil zum Bund. Die allgemeine Wehrpflicht wäre in Frage gestellt – und damit die Wehrgerechtigkeit.
Der Zivildienst legitimiert sich ausschließlich aus dem Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung. „Wenn nur jeder fünfte Wehrpflichtige einberufen wird, müsste das auch für die Zivis gelten“, folgert Ulrich Finck, Vorsitzender der Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen. „Es wäre eine grobe Ungerechtigkeit, wenn beim Zivildienst alles beim Alten bleibt.“
Doch um diese Frage hat sich die Zukunftskommission gedrückt. Längst hat der Zivildienst sich zur tragenden Säule des sozialen Systems entwickelt. Formal gesehen sind die Zivi-Stellen keine Arbeitsplätze: Der Einsatz von Zivis darf keine Arbeitsplätze bedrohen und auch die Schaffung neuer Stellen nicht behindern. Doch immer öfter setzen die Sozialträger Zivis als billige Arbeitskräfte ein – staatlicher Subventionierung sei Dank.
Weil der Gesetzgeber den Zivildienst zum 1. Juli von 13 auf 11 Monate verkürzt hat, droht bereits im Sommer die Zivi-Lücke: Wenn der neue Zivi-Jahrgang im Spätsommer antritt, ist der alte bereits außer Dienst. Würde ihre Zahl gesenkt, könnten künftig gar vier Fünftel der bisherigen Zivildienststellen nicht mehr besetzt werden.
Um die Debatte anzuschieben, will Christian Simmert, jugendpolitischer Sprecher der grünen Bundestagsfraktion, morgen ein Eckpunktepapier zur Zukunft des Zivildienstes vorstellen. Bisherige Stellen sollten in reguläre Arbeitsplätze umgewandelt und der freiwillige soziale Dienst solle gestärkt werden. Der Grüne fordert denn auch eine zweite „Zukunftskommission“, um über die Auswirkungen von Wehrdienstzeit und Einberufungsquote auf den Zivildienst zu diskutieren. Heftige Gefechte erwartet Simmert mit der SPD.
Eine gesellschaftliche Aufwertung des freiwilligen sozialen Dienstes hält er für notwendig – etwa durch die Anrechenbarkeit des sozialen Jahres im Studium. Aber, sagt Simmert: „Von einem Pflichtdienst halte ich nichts.“ nm
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