: Kritik am Kuckucksei
Vorschläge zur Bundeswehrreform stoßen auf Widerstand: CDU sieht Wehrgerechtigkeit bedroht. Wohlfahrtsverbände befürchten Zivi-Verlust
BERLIN taz/ap/dpa ■ Die Vorschläge der Weizsäcker-Kommission zur Reform der Bundeswehr haben gestern eine heftige Diskussion über die Zukunft von Wehr- und Zivildienst entfacht.
Der Bundeswehrverband übte scharfe Kritik am Konzept der „Zukunftskommission“ von Altbundespräsident Weizsäcker: Es sei „kein Schritt in die richtige Richtung, sondern leider ein ziemlich großer in eine völlig falsche“, sagte ein Sprecher. „Ein Kuckucksei in Scharpings Nest“ nannte der verteidigungspolitische Sprecher der CDU-Bundestagsfraktion, Paul Breuer, das Weizsäcker-Konzept. CDU-Chefin Angela Merkel sprach gar von einem „Schlag ins Gesicht des Verteidigungsministers“.
Der damit Gemeinte äußerte sich gestern zunächst gar nicht. Scharping erklärte, er werde nach der offiziellen Übergabe der Reformberichts am 23. Mai einen „wohl begründeten eigenen Vorschlag“ machen. Bis dahin diene ihm das vorliegende Papier als „Argumentationshilfe“.
Wie am Wochenende durchgesickert war, schlägt die Weizsäcker-Kommission unter anderem vor, pro Jahr nur noch 30.000 statt bisher 134.000 Wehrpflichtige einzuziehen.
Vor den Folgen dieser Reform für die Wehrgerechtigkeit warnten gestern Vertreter unterschiedlichster politischer Richtungen. Der neue Präsident des Bundesamts für Zivildienst, Wolfgang Kehm, mahnte, die Wehrgerechtigkeit müsse in jedem Fall gewahrt bleiben. Dafür sieht die „Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte Kriegsdienstgegner“ keine Chance. Eine Sprecherin kritisierte den Plan gegenüber der taz als „ungerechte Bestrafung“ der Verweigerer. Es könne nicht angehen, dass nur noch ein Bruchteil der Wehrpflichtigen zur Bundeswehr eingezogen würden, aber alle Verweigerer als Zivis dienen sollten.
Wer nicht sofort verweigere, habe „gute Chancen“, bald ganz um den Dienst herumzukommen, empfiehlt die „Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär“. Beide Organisationen nennen den Entwurf „halbherzig“ und fordern, die Wehrpflicht ganz abzuschaffen.
Ebendieser Perspektive bangen die Sozialverbände entgegen. Nach Ansicht des Paritätischen Wohlfahrtsverbands läuft der Weizsäcker-Vorschlag „faktisch auf ein Ende des Zivildienstes hinaus“. Er verlocke junge Männer zum Pokerspiel und mache „Kriegsdienstverweigerung überflüssig“. „Viele Bereiche müssten komplett zumachen“, warnt Maria Wilms, Leiterin der Arbeitsstelle Zivildienst bei der Caritas. Die Arbeit von 130.000 Zivis durch freiwillige Arbeit zu ersetzen, das hält die Caritas-Expertin für eine Illusion.
Auch Diakonie-Präsident Jürgen Gohde forderte, die Politik müsse sofort Alternativen zum Zivildienst entwerfen. Nur 25 Prozent der heutigen Sozialdienste könnten mit 30.000 Zivis weitergeführt werden. Vor allem in der Individualbetreuung drohten harte Einschnitte: „Ob ein Rollstuhlfahrer nachmittags ins Grüne gefahren wird oder nicht, das ist für den nicht unerheblich.“
ASTRID GEISLER
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