piwik no script img

Et hätt jot jejange

Ewald Lienens ethnologischer Spagat: Der 1.FC Köln steigt durch einen spektakulären 5:3-Sieg in Hannover vorzeitig in die Bundesliga auf

von BERND MÜLLENDER

Köln war wieder Köln: Kaum war das Montagsspiel der 2. Liga bei Hannover 96 abgepfiffen und der FC durch den 5:3-Sieg vier Spieltage vor Saisonende in die Bundesliga aufgestiegen, sangen Tausende bei karnevalistischen Mai-Feierlichkeiten rund um den Dom. „Mir sin widder do.“ Ein Nachtjubler sagte: „Hier sind jetzt schon mehr Leute, als es bei der Meisterfeier von Leverkusen sein werden“, und der Express forderte gestern titelseitefüllend zur Kuss-Orgie auf: „Lasst euch bützen, FC-Helden“.

Auch Ewald Lienen war mal wieder ganz Ewald Lienen. Nach dem atemberaubenden Spiel hatten die Reporter des Deutschen Sport-Fernsehens (DSF) den FC-Trainer gestellt: Warum sein FC lange Zeit so in die Defensive gedrängt wurde, ja, wie überhaupt so viele Torchancen für 96 möglich waren? „Sie reden ja schon genauso wie die Journalisten in Köln“, returnierte Lienen in bekannter Abneigung gegen vordergründige Pressefrager. Daheim würde auch sofort gemeckert, wenn mal ein Gegner überhaupt auf das FC-Tor zu schießen sich traue. Immerhin gestand er später, bei den beiden FC-Toren in der Schlussphase sei er „explodiert und ausgerastet“.

Hannover hatte vor 36.000 Zuschauern (und 2,6 Millionen TV-Zuschauern) nach sieben Minuten 2:0 geführt und bis zur 67. Minute 3:1. Dann erst trumpfte Köln auf. Erleichtert wird sich Lienen freuen, dass er durch den Aufstieg dem Zugriff des Zweitligasenders DSF entkommt.

Für Fußballlehrer Lienen (46) ist es auch ein großer persönlicher Triumph. Das rheinische Köln war für ihn vor allem eine ethnologische Herausforderung. Kaum wer hatte es bei Saisonbeginn für möglich gehalten, dass der penible Ostwestfale im Epizentrum der Schunkelei zurecht kommen könnte.

Lienen musste staunend lernen, dass der Kölner sich mit Weisheiten wie „Et hätt noch immer jot jejange“ sich dem Leben hingibt und, im Falle des FC, daraus eine gewisse Gesetzmäßigkeit schließt, nach der der FC einfach in die Bundesliga gehöre. Und alles andere als Schicksalsschlag hinnimmt.

Nicht mit Akribiker Lienen! Sein Credo: Man muss sich alles erarbeiten und verdienen. Er setzte auf Disziplin, Verständnis, Kooperation und zahllose Gespräche. Der studierte Pädagoge und Genussgiftfreundefeind Lienen (siehe taz-Gespräch vom 12. 2.) kümmerte sich nicht nur intensiv um Fußballerisches, sondern auch um das komische rheinische Wesen. Dennoch, als ein Fotograf den früheren Friedenskämpfer und Öko-Sozialisten bei Feldstudien unter Rosenmontags-Jecken ablichtete, erschien dies, so der Spiegel, wie ein „welterschütternder Schnappschuss“: das sei, „als hätte man Berti Vogts beim Kiffen erwischt“.

Lienen erklärte sich: „Um Köln zu verstehen, muss man mal beim Rosenmontagszug gewesen sein.“ Sein Spieler Dirk Lottner, ein Kölner, verstand das sofort: „Unser Trainer ist sehr interessiert an fremden Kulturen.“

Eine fremde Welt dürfte für Hannover (43 Punkte) nach dem 3:5 die 1. Liga bleiben. Bochum scheint mit 54 Punkten kaum mehr gefährdet. Um Aufstiegsplatz 3 rangeln mit Cottbus, Gladbach, Nürnberg und Alemannia Aachen vier Anwärter mit je 46 oder 45 Punkten. Heute nachspielt Gladbach in Mannheim.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen