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Witze, wollt ihr ewig warten?

Real Life Comedy ohne doppelten Boden: In Milos Formans „Der Mondmann“ über das Leben des Stand-up-Komikers Andy Kaufman ist Jim Carrey seinem Vorbild ebenbürtig. Aber wie lässt sich eine Biografie verfilmen, die immer nur als Fake und Fantasie gelebt wurde?

von HARALD FRICKE

Die New York Times war von Howard Itzkowitz total begeistert. Weil er in seinem gelben T-Shirt mit Palmenaufdruck und Indianerfederschmuck auf dem Kopf ein wenig verrückt aussah im Village. Weil er Witze über fremdländische Suppen machte und seltsame Folksongs aus seiner Heimat Caspiar sang. Weil er unentwegt Congas spielte, auch bei Chansons wie „Alouette“. Und weil er sich am Ende seines Auftritts im New Yorker „Improvisation“-Club nach einer kurzen Imitation von „Da Elveece“ mit einem freundlich quäkenden „Tenk you veddy much“ verabschiedete. Dabei hatte der Kritiker Itzkowitz gar nicht gesehen, nur eine ausführliche Bildunterschrift unter sein Foto gesetzt. Der Mann auf dem Foto aber war gar nicht Itzkowitz, sondern Andy Kaufman.

Die Berichtigung stand zwei Tage danach in der Zeitung. Und zehn Jahre später ein kurzer Nachruf. Da war Kaufman 35-jährig an Lungenkrebs gestorben. Zwischendurch war er zu einem der merkwürdigsten Stand-up-Komiker Amerikas aufgestiegen, hatte einige Dutzend Sketche für „Saturday Night Live“ produziert und auf dem Höhepunkt seiner Fernsehkarriere als Intergender-Wrestling-Champion Frauen in Strapsen verprügelt. Das war dann auch schon das Ende des Erfolgs: 1983 wurde er bei einer Live-Schaltung vom Publikum als übler Macho aus dem Programm gewählt. Selbst darüber war Kaufman glücklich, weil doch Missverständnisse sein Leben als Komiker nur noch rätselhafter und also besser machen konnten. Dass ihn danach niemand mehr engagieren mochte, war bloß konsequent. Dann trat Kaufman eben mit Perücke und Smoking als sein Alter Ego Tony Clifton auf, sang schlechte Sinatra-Standards und schleppte in billigen Casinos reihenweise Prostituierte ab. In einem Puff in Reno sollte sogar ein Zimmer nach ihm benannt werden, nachdem er sich eine Woche lang durch das gesamte Etablissement gevögelt hatte.

All diese Geschichten kann man in Bill Zehmes Biografie „Lost in the funhouse“ nachlesen, der mit viel Liebe das seltsame Leben Andy Kaufmans aufgezeichnet hat. Kaufman war Jude, Schizo, ein Sex-Maniac und Wirrkopf, der Kunst und Alltag nicht trennen mochte, der selbst im Bett mit seinen zahllosen Frauen noch weiter zahllose Rollen spielte, wenn es den Frauen denn Spaß machte. Ansonsten wurde eben gewrestlet, was das Zeug hielt.

Auf der Bühne wiederum konnte man den Kaufmanschen Humor nur schwer ertragen. Seine Auftritte bestanden aus Nullnummern, aus Anti-Comedy: So ließ er für eine Folge von „Saturday Night Live“ minutenlang eine Schallplatte mit der Erkennungsmelodie von Mighty Mouse abspielen, bevor er mit einer plötzlichen Geste lippensynchron die Zeile „Here I come to save the day“ imitierte. Danach blieb er wieder unbeweglich und still, bis zum nächsten Refrain – und das Publikum explodierte vor Lachen. Nicht weil die Aktion besonders witzig war, sondern weil die Anspannung während des Schweigens sich entladen musste. Kaufman hatte das Talent, ins Leere zu agieren und mit dieser Überzeichnung dem Leben sehr nahe zu kommen, das ja auch eher ohne Highlights vorüberzieht.

Milos Forman mag solche Figuren, bei denen man nie sicher ist, wo das wirkliche Leben anfängt und ob es überhaupt anfängt. Als er Ken Keseys „Einer flog über das Kuckucksnest“ verfilmte, durfte Jack Nicholson den übermächtigen Verrückten geben, der eine Psychiatrie im Alleingang aufmischt. Bei „Amadeus“ musste Tom Hulce immer wieder „Aber Majestät“ kieksen, und für „Larry Flint“ war Woody Harrelson der brummige Porno-Impresario vom Hustler-Magazin, der gegen den Rest der Welt kämpfte. Dies ist Amerika. Du hast deine Chance, gehe los und nutze sie – so oder so ähnlich denkt Forman, wenn er seine Helden ausschickt, damit sie als Glücksritter an der Realität scheitern. Deshalb ist es nur logisch, dass er irgendwann auch auf Kaufman stoßen musste. Und auf Jim Carrey, der in seiner offenherzigen Durchgedrehtheit dem Vorbild mindestens ebenbürtig ist.

Die Voraussetzungen für „Der Mondmann“ sind dennoch nicht ideal: Wie soll man einen Menschen filmen, der immer nur als Fiktion auf der Bühne existiert hat und selbst im Leben eine Rolle blieb? Wie zeigt man den Irrsinn eines Komikers, der nur für den Moment lustig war, in dem das Publikum sich mit seiner gespielten Fremdartigkeit identifizierte? Entsprechend zeigt Forman Kaufmans Biografie als versponnenen Fake, als ausgeklügelten Plot – und relativiert damit die Situationskomik der real life comedy: Im Kino sieht man bei ihm den doppelten Boden und die Effekte, mit denen Kaufman scheinbar unmittelbar agierte. Wenn Carrey den Wrestling-König Jerry Lawler beschimpft, dann weiß man bereits, dass die Auseinandersetzung nur eine abgesprochene Finte ist. Und wenn er den abgewrackten Lounge-Sänger Tony Clifton auferstehen lässt, dann schaut die Kamera im Film backstage beim Schminken vorbei. Das ist sehr über Bande gespielt – oder wer möchte schon wissen, wie etwa der Zauber mit der zersägten Dame im Karton funktioniert, ohne erst einmal über das Kunststück staunen zu dürfen?

Zum Glück hat Forman bei seiner unermüdlichen Aufklärungsarbeit über Comedy noch Carrey als Komiker (und Courtney Love als treue Kaufman-Geliebte und Danny DeVito als Kaufmans angenehm schmierig anzusehenden Hollywood-Agenten). Was immer hinter den Kulissen beim original Kaufman passiert sein mag, wird von Carrey noch einmal parodiert.

Wo Kaufman in zähen Minuten mit seinen großen Augen auf sein Publikum einkullerte, damit es doch seine eigene Hilflosigkeit als Act spüren möge, windet sich Carrey wie ein Novize beim Abschlussball im Tanzkurs. Mehr noch, er spielt gar nicht Kaufman, der einen Komiker spielt, sondern sich selbst in der Rolle eines Komikers, der einen Komiker spielt, der eigentlich gar nicht weiß, was daran komisch ist. So ergibt die doppelte Negation des Künstlichen eben auch wieder eine ganze Menge Ungereimtheiten.

„Der Mondmann“. Regie: Milos Forman. Mit Jim Carrey, Courtney Love, Danny DeVito u.a., USA 2000, 102 Min.

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