: Sibirischer Blues
Der Dokumentarfilm Genghis Blues erzählt von der Freundschaft zweier sehr unterschiedlicher Musiker ■ Von Volker Peschel
„In the middle of asia“, besingt Paul Pena die Region Tuva. Eine recht gute Charakterisierung, denn mittendrin ist dieses kleine Land wirklich. Umgeben von schneebedeckten Bergen liegt die seit 1991 „Unabhängige Repub-lik“ der Russischen Föderation zwischen Ost-Sibirien und der Mongolei. Jahrhundertelang war Tuva geografisch, aber auch kulturell nahezu abgeschnitten vom Rest der Welt, die der berühmteste Sohn des Landes einst eroberte: Dschingis Khan, auf englisch Genghis-Khan.
Szenenwechsel: Paul Pena, Sohn westafrikanischer Einwanderer, lebt in San Francisco, spielte seinen Mississippi-Delta-Blues mit Helden wie B.B. King oder Bonnnie Raitt. Auf einem Kurzwellen-Programm von Radio Moskau wird der blinde Musiker auf khoomei aufmerksam, die traditionelle Art des Obertonsingens in Tuva. Fast regungslos produzieren die Sänger dabei ihre Töne, die wie eine Art menschliches Didgeridoo klingen. Der unwissende Zuschauer fragt sich: Wo kommt das her? Dieser völlig fremdartige Gesang entsteht durch bestimmte Zungen- und Rachentechniken. Gleichzeitig werden dabei mehrere verschiedene Töne produziert, oft als Ein-Mann-Quartett beschrieben.
Paul Pena ist fasziniert von dieser Stimmtechnik und beginnt sie sich über die nächsten neun Jahre selbst anzueignen. Er erlernt die tuvanische Sprache, übersetzt sie mangels existierendem Wörterbuch mühsam Wort für Wort erst ins Russische, dann ins Englische.
1993 erfährt Paul, dass Obertonsänger aus Tuva für eine Konzert-Tournee in den USA sind. Der tief röhrende Blues-Musiker mit einer Stimme, die Tom Waits als Falsett erscheinen lässt, nutzt die Gelegenheit, sein erworbenes Können einem ausgewiesenen Meister dieser Kunst vorzutragen: Kongar-Ol Ondar. Dieser ist begeistert, vergleicht Penas Stimme mit dem Grollen bebender Erde und lädt Chershemjer – „Erdbeben“ – nach Tuva ein, um an einem alle drei Jahre stattfindenden Oberton-Gesangs-Wettbewerb teilzunehmen.
Ein Traum wird wahr, als Paul Pena 1995 mit Freunden und einer Filmcrew zu seiner großen Reise aufbricht. Er beginnt das Land zu erkunden, mit dem er sich in der fernen Heimat Kalifornien so intensiv beschäftigt hat. Und wird mit offenen Armen aufgenommen. Begeistert sind all die Menschen von seinem Können. Und ein wenig geschmeichelt, wie dieser Fremde ihre Kultur verehrt. Er begegnet einzelnen Menschen: Da ist der kleine Junge, der begierig den Oberton-Gesang erlernt, und schon brummt wie ein Großer, was ihm den Spitznamen „kleines Erdbeben“ einbringt. Da ist ein Schamane, der in einer Sprache spricht, die so alt ist, dass er selbst sie nicht versteht. Oder Tuvaner an einer Tankstelle, die ihn bitten zu singen.
Höhepunkt seines Aufenthaltes ist der große Gesangswettbewerb, feierlich in Szene gesetzt im Nationaltheater von Tuva.
Dokumentar-Film wäre eine reichlich nüchterne Bezeichnung für die Arbeit der Brüder Belic. Ihr Film ist viel zu herzlich und einladend. Der Zuschauer beginnt die Neugier Penas zu teilen. Begeistert folgt man ihm durch Tuva, möchte mehr erfahren, mehr erleben. Und die Entdeckungsfahrt nicht nach den 88 Film-Minuten beenden. Diese wahre Geschichte entlässt einen nicht aus dem Kino. Sie erscheint so faszinierend befremdlich, dass sie spannender als jede Fiktion ist.
Die beiden Freunde haben inzwischen ein gemeinsames Album aufgenommen, ein Querschnitt ihrer kulturellen Herkunft: der kapverdisch beeinflusste Blues Penas und der tuvanische Gesang Ondars: „Genghis Blues“ (TuvaMuch Records) eben. Während sein Film auf 12 internationalen Festivals als „Bester Film“ oder Publikumsliebling ausgezeichnet wird, erfährt Paul Pena, dass er Magen-krebs hat. Spenden für die horrenden US-Arztkosten werden über seine Homepage (www.tuvatrader.com / www.genghisblues.com) gesammelt.
Genghis Blues: Eine ganz wunderbare Lektion der Bescheidenheit voll tiefem Glück.
ab heute, Zeise, 20 Uhr + 3001, 20.30 Uhr
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