Die lieben Kleinen machen’s vor

Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin besuchte gestern an der Lilienthal-Oberschule in Lichterfelde das Modellprojekt zur Streitschlichtung. Dort lösen ganze Klassen ihre Konflikte – ohne Lehrer. Dafür aber mit Friedensvertrag

von GRIT FRÖHLICH

„Kinder an die Macht“ von Herbert Grönemeyer sei ihr spontan eingefallen, berichtete Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin, als sie von dem Projekt „Mediationsteam“ an der Lilienthal-Oberschule gehört habe. Und so besuchte sie gestern die Schule in Lichterfelde. Denn dort wird im Kleinen und mit den Kleinen erprobt, was Däubler-Gmelin gern bundesweit auch für die Großen durchsetzen will: Streitschlichtung ohne übergeordnete Instanzen.

Alwine Bonjer bildet hier schon seit drei Jahren Schüler zu so genannten Konfliktlotsen aus – in einjährigen Kursen. Das Modell hat das Berliner Institut für Lehrerfort- und -weiterbildung (BIL) Anfang der 90er-Jahre entwickelt und basiert auf Beispielen aus den USA. Dabei werden die alltäglichen Schulhofkonflikte nicht mehr durch eine Entscheidung eines Lehrers beendet, sondern durch die Schüler selbst.

In Dreiergesprächen sollen sich die Streithähne mit einem neutralen Mediator, der selbst Schüler ist, aussprechen. Ziel ist eine Art Friedensvertrag, den die Schüler am Ende unterzeichnen sollen. „Was in dem Vertrag drinsteht, haben die Schüler selbst bestimmt“, erklärt Bonjer. Daher seien die Chancen, dass er von den Jugendlichen auch eingehalten werde, ziemlich groß.

Das System hat sich bewährt, aber nur bei Zweierkonflikten. Häufig gibt es aber auch Streit unter den typischen Jugendcliquen. Auf sie wurde das Mediatorenmodell nun übertragen. Wie das funktionieren kann, präsentierten die Schüler gestern in einem Theaterstück.

Auf der Bühne sitzt das Mediationsteam der Lilienthal-Oberschule: 14 Schülerinnen und Schüler von der 8. bis zur 12. Klasse. Vor allem Mädchen sind es, eines trägt ein Kopftuch. Tina zählt die Regeln auf: „Ihr sollt euch gegenseitig aussprechen. Ihr dürft euch nicht beleidigen. Und wir bleiben neutral. Seid ihr einverstanden?“ Als Antwort kommt ein „Ja“ im Chor.

„Okay, wir teilen uns jetzt in Gruppen“, erklärt Tina den weiteren Verlauf. Erst mal soll jeder sagen, was es für Probleme in der Klasse gibt. Danach, wie es werden soll. Und zum Schluss werden Ideen gesammelt, wie man da hinkommen könnte.

„Die Cliquenbildung – wir sind keine richtige Gemeinschaft“, benennt eine als Problem. „Ich glaube, das liegt an der Sitzordnung“, vermutet eine Zweite. „Wenn jemand keine Markenklamotten trägt, dann gehört er nicht zur Clique“, ergänzt ein Dritter. „Dann haben wir da noch ein Problem mit einer Lehrerin: Die Jungs werden immer von Frau Meier bevorzugt“, ruft eine Fünfte.

„Ne Gemeinschaft wäre schön“, erzählt Maike später von ihrer Utopie, „man könnte sich morgens zum Beispiel grüßen.“ Das Publikum lacht. Eine Klassenfahrt zum besseren Kennenlernen wird dann noch vorgeschlagen. Und die Schülersprecher sollen mit Frau Meier reden.

Festgehalten wird alles wieder in einem Vertrag, den die Klassensprecher unterschreiben. In drei Wochen soll gemeinsam Bilanz gezogen werden.

Wichtig für die Konfliktlösung, betont Bonjer später, sei die Verteilung der „Platzhirsche“ während der Mediation auf verschiedene Gruppen. Anderfalls würden die sich ständig die Bälle zuspielen. Dann hätten die Mediatoren kaum eine Chance.

„Da streiten sich Nachbarn über solche Kleinigkeiten wie einen Maschendrahtzaun und einen Knallerbsenstrauch“, ärgert sich Herta Däubler-Gmelin nach dem Theater. Die Schüler seien viel weiter als große Teile der Gesellschaft. „So ein Projekt“, versichert die Justizministerin den Kids, „brauchen wir auch für nachbarschaftsrechtliche Streitigkeiten.“