: Soziales Band
Ellis Huber, Initiator der Gesundheitsbewegung, über ein neues Gesundheitsparlament
taz: Sie wollen auf dem Gesundheitstag ein „Gesundheitsparlament der BürgerInnenschaft“ gründen. Wozu das?
Ellis Huber: Der deutsche Ärztetag wird ja gerne als Parlament der Ärzteschaft bezeichnet – und nimmt sich regelmäßig das Recht heraus, ein gesundheitspolitisches Programm zu verabschieden. Nun wissen wir heute, dass Gesundheit nicht allein von Ärzten geschaffen wird, sondern die Beteiligung unterschiedlicher Gruppen braucht, vor allem eine sehr viel stärkere Einbeziehung der betroffenen Menschen mit ihren Selbstheilungs- und Selbsthilfemöglichkeiten. Die Frage ist, ob es ein soziales Band jenseits von staatlicher Macht und wirtschaftlichem Markt gibt. Ich denke, dass das der Fall ist. Daher setzen wir auch auf den gemeinschaftlichen Willen und die Kraft der Zivilgesellschaft.
Was verbindet den ersten Gesundheitstag von 1980 mit dem, der jetzt veranstaltet wird?
Der Gesundheitstag 1980 hat eine Vision von Gesundheit theoretisch erarbeitet, die nahtlos über konkrete Personen in die Programmatik der WHO eingeflossen ist – die Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung stammt zum Beispiel aus deutscher Feder. Erstaunlicherweise war der Einfluss der deutschen Gesundheitsbewegung auf die internationale Debatte viel stärker als auf die nationale Entwicklung – jetzt geht es darum, das bei uns nachzuholen. Die Berliner Charta schließt an die entsprechenden Deklarationen der internationalen Bühne an und versucht, sie auf eine regionale Programmatik zu übetragen.
Wie sieht Ihre Idee eines sozialen Gesundheitswesens aus?
Einmal geht es um die Umsetzung einer integrierten Medizin, also darum, den Menschen mit seinen seelischen und sozialen Bezügen ganzheitlich zu betrachten. Daneben brauchen wir eine integrierte Versorgung. Sie verändert die Honorarsysteme radikal und sorgt dafür, dass man wieder das Gemeinsame sieht. Der dritte neue Ordnungsbereich ist der einer Krankenversicherung, die zwischen allgemeinem Bedarf im Krankheitsfall und subjektiven Bedürfnissen unterscheidet. Eine Pflichtversicherung für alle muss mit individuellen Wahlmöglichkeiten verknüpft werden.
Letzter Punkt: Wir brauchen eine völlig neue Struktur für die praktische Umsetzung der Versorgung. Wir müssen aufhören, in Sektoren zu denken: hier das Krankenhaus, dort die Arztpraxis. Künftig wird die individuelle Versorgung in berufsübergreifenden Teams organisiert sein.
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