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Übrigens: Tristan und Isolde

Bernd Mottl inszeniert Frank Martins Tristan-Oratorium an der Neuköllner Oper. Sportswear herrscht vor, aber dann ist Konstanze Gasts helle, intonationssichere und vollmundige Brangäne eben doch das Ereignis

Mit wie viel Beiläufigkeit lässt sich die tragischste aller Liebesgeschichten noch erzählen? Während die beiden todgeweihten Protagonisten sich ihre alles verdunkelnde Liebe gestehen, lungern die restlichen Darsteller gelangweilt auf ihren pastellfarbenen Etagenbetten. Sie spielen Videospiele oder blättern in einer Illustrierten. Unangemessen leger gekleidet, tragen sie Sportswear, „Undertaker“-T-Shirts oder Morgenmäntel in Leopardenfellimitat über türkisfarbenem Schlüpfer. Die Geschichte, die sie an diesem Abend vortragen, ist ihnen eher zufällig in die Hände gefallen. Mit einem ordentlichen Wumm kracht gleich eingangs von oben ein Paket auf die Bühne nieder, das die Noten zur folgenden Vorstellung enthält.

Die Grundlage für ein zunächst derart uninspiriert wirkendes Sängerensemble hat der Komponist selbst geliefert. Frank Martin, 1890 in Genf geboren, schrieb sein Tristan-Oratorium „Le Vin Herbé“ in den Jahren zwischen 1938 und 1941. Zu einem Zeitpunkt, als die ersten Revolutionen im Bereich des Musiktheaters bereits historisch geworden waren, besetzte er sein Bühnenwerk unkonventionell: mit einem Kammerensemble aus Streichern und Klavier sowie mit zwölf Stimmen, die in der Neuköllner Neuinszenierung auf acht gestutzt sind. Da das Libretto nach Joseph Bédiers Roman „Tristan et Isolde“ stets zwischen chorischen und zitierenden Passagen schwankt, sind die Ensemblemitglieder jeweils beides: Chor und Figur.

Regisseur Bernd Mottl spielt mit diesem hybriden Entwurf. Die Bettgestelle türmen sich zu zerklüfteten Felsen gescheiterter Hoffnungen, verwandeln sich in Sarkophage oder bleiben eben einfach Betten. Auch die Rollen wechseln ständig zwischen der innigen Beteiligung der Figuren und der sachlichen Berichterstattung des Chors. Die Sänger fallen von einem deklamatorisch untergeordneten in einen solistischen, emphatischen Ton, wobei Inszenierung und musikalische Interpretation deutlich ineinander greifen. Unklar bleibt indes nur, ob sich Markes Eifersucht nicht doch mehr auf Isolde denn auf Tristan richtet.

Musikalisch überzeugt an dieser Produktion vor allem der dichte, ja slicke Ensemblesound der Sänger, der vom Komponisten homofon, harmonisch dicht und rhythmisch gleichlautend gesetzt ist. In der Ausführung der solistischen Partien offenbaren sich hingegen hier und dort technische Schwächen, die aber von der schauspielerischen Leistung und der Wortverständlichkeit in der Regel kaschiert werden. Auszunehmen ist dabei vor allem Konstanze Gast, die als helle, gleichermaßen intonationssichere und vollmundige Brangäne diese Produktion allein zu einem Ereignis macht.

Das begleitende Ensemble Oriol unter Winfried Radeke agiert zurückhaltend. Ihr zerbrechlicher Streicherklang bereitet den Sängern einen schmiegsamen Hintergrund, der die oft süßlichen Harmonien, die Martin zwischen Kirchentonarten und Zwölftonigkeit einrichtet, großzügig auskostet.

BJÖRN GOTTSTEIN

Weiter Termine 19. bis 21. und 24. bis 26. Mai, 20 Uhr, Neuköllner Oper, Karl-Marx-Straße 131–133

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