: Der Erfolg erschüttert die FDP
Der Kantersieg in Nordrhein-Westfalen beschert Jürgen W. Möllemann unerwartet die Aussicht auf den Bundesvorsitz seiner Partei
aus Düsseldorf und BerlinPASCAL BEUCKER und PATRIK SCHWARZ
„9,9 Prozent? Das ist ja der helle Wahnsinn!“ Der Spitzenkandidat, umtost von „Jürgen, Jürgen!“-Rufen seiner Fans, sah sich nach den ersten Hochrechnungen am Ziel seiner Träume: zurückgekehrt ins Parlament von Nordrhein-Westfalen, mit weit mehr als den anvisierten 8 Prozent, die Grünen zur vierten Kraft im Lande degradiert. Regierungsbeteiligung? „Ich habe nicht die Absicht, mich anzudienen.“ Dass die FDP wieder auferstanden ist, verdankt sie einer einzigen Person: Jürgen W. Möllemann.
Wie drastisch das überraschend hohe Wahlergebnis die Machtverhältnisse in der FDP-Spitze umgekehrt hat, machten die Auftritte von Generalsekretär Guido Westerwelle in Berlin deutlich. Einmal mehr wurde er seinem Ruf als schnellster Wetterhahn der FDP gerecht: Binnen Minuten nach den ersten Prognosen machte er deutlich, wer auch auf Bundesebene der neue starke Mann der Liberalen ist. Ob bei ZDF, ARD, Sat.1 oder ntv – ein ums andre Mal pries er den „großartigen Wahlerfolg von Jürgen Möllemann und der nordrhein-westfälischen FDP“.
Möllemanns Ambitionen auf den Bundesvorsitz sind seit langem bekannt. Die Entscheidung, in NRW so offen um die SPD als Koalitionspartner zu werben, war allein seine. Parteichef Wolfgang Gerhardt verfolgte Möllemanns Westbindung mißtrauisch. Gerhardt war in Hessen jahrelang Minister in einer Koalition mit der CDU, die dort besonders schwarz ist. In Bonn und Berlin tat er sich als treuer Unterstützer der schwarz-gelben Kohl-Regierung hervor. Nicht zu Unrecht befürchtet er, dass Befürworter eines Schwenks der FDP zur SPD ihn aus dem Weg räumen wollen. Möllemanns Flirt mit den Sozialdemokratenm bedroht daher nicht nur seine politischen Prinzipien, sondern auch seine persönliche Zukunft. Niemand konnte ihm daher verdenken, dass er am Wahlabend im Berliner Thomas-Dehler-Haus seinen treuen Gefolgsmann vor die Kameras schickte.
Was Guido Westerwelle dort verkündete, konnte ihm allerdings kaum gefallen. Der General, der selbst zu Möllemanns Landesverband gehört, lobte ausdrücklich Möllemanns „unabhängige Strategie“. Unabhängig war die Strategie im doppelten Sinne: Der NRW-Spitzenkandidat hat seine Partei nicht an die CDU gefesselt – und er hat mit dieser Entscheidung Wolfgang Gerhardt das Heft aus der Hand genommen. Damit riskierte der passionierte Fallschirmspringer einen Sprung ohne Reserveschirm.
Seine politische Karriere begann der Münsteraner Polit-Entertainer Möllemann Ende der 60er-Jahre als Asta-Vorsitzender an der Pädagogischen Hochschule Münster im CDU-Studentenverband RCDS. 1970 wechselte er zur FDP. Zwei Jahre später saß der Shooting-Star im Bundestag. Seine große Zeit erlebt der gelernte Volksschullehrer nach der Bonner „Wende“. Von Hans-Dietrich Genscher 1982 als Staatsminister ins Auswärtige Amt geholt, wird Möllemann 1987 Bundesminister für Bildung und Wissenschaft. Doch 1993 folgt der Absturz: Nach der so genannten Briefbogenaffäre um ein Werbeschreiben für den „pfiffigen“ Einkaufswagen-Chip eines Verwandten muss Möllemann zurücktreten. Ein Jahr später schicken ihn auch die NRW-Liberalen, denen er seit 1983 vorstand, in die Wüste. Nicht ohne Unterstützung der Bundespartei, die genug hat vom Selbstdarsteller, wird Möllemann ein halbes Jahr vor der Landtagswahl zum Rücktritt vom FDP-Landesvorsitz gezwungen. Seine Karriere scheint beendet.
Doch die Niederlage erweist sich für ihn als Glücksfall. Denn die FDP verpasst am 14. Mai 1995 mit nur 4 Prozent der Stimmen den Einzug in den Landtag. Zuvor schon aus fast allen Kommunalparlamenten geflogen, nun auch noch ohne Landtagsfraktion, steht die Partei vor einem Trümmerhaufen. Dafür kann Möllemann seine innerparteilichen Kontrahenten verantwortlich machen. Der Anfang seines Comebacks: 1996 holt ihn die Partei zurück. Seitdem beherrscht der Oberleutnant der Reserve die nordrhein-westfälische FDP unangefochten.
Wäre die FDP unter den von Möllemann tollkühn versprochenen 8 Prozent geblieben, dann hätte sich das liberale Stehaufmännchen wohl nicht wieder aufrappeln können. So aber haben Gerhardt wie Westerwelle ein Problem. Der Machtzuwachs für Möllemann bedeutet das Ende für Westerwelles Ambitionen, seinen blassen Chef in absehbarer Zeit selbst zu beerben. Und Gerhardts Überleben als Bundesvorsitzender hängt künftig von Möllemanns Gutdünken ab.
In Westerwelle scheint Möllemann bereits seinen ersten Vasallen gefunden zu haben – wenn er auch nicht sicher sein kann, wie lange er sich auf den wendigen General verlassen kann. Haben Sie Ihren Chef schon im Stich gelassen, Herr Westerwelle? „Es wird Ihnen nicht gelingen, am heutigen Abend einen Keil zwischen mich und Wolfgang Gerhardt zu treiben.“ Westerwelles Auftritte gestern in Berlin legten nicht den Eindruck nahe, dass er noch Hilfe dabei brauchte.
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