: Friedliche TV-Show im Innenausschuss
Parlamentarier zeigen wenig Lust, über die Auslöser der diesjährigen Mai-Krawalle zu debattieren
Nicht nur die diesjährigen Krawalle am 1. Mai in Kreuzberg sind weniger heftig als in den vergangenen Jahren ausgefallen. Auch im parlamentarischen Innenausschuss ist die Lust deutlich gesunken, sich aufs Neue an der Debatte zu beteiligen, wer oder was die Krawalle ausgelöst hat.
„Ob erst der Polizeieingriff kam oder erst die Steine flogen, ist relativ beliebig“, zitierte der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Wolfgang Wieland, den Chef der Landesschutzpolizei, Gernot Piestert, der den diesjährigen Einsatz geleitet hatte. „Die gesellschaftlichen Kräfte müssen sich den Kopf darüber zerbrechen, wie die Randaletradition durchbrochen werden kann“, forderte Wieland. Die Polizei habe mit ihrem Deeskalationskonzept einen Teil erarbeitet. Nun sei ähnlich wie beim Bündnis gegen rechts ein gesellschaftliches Bündnis gefordert.
SPD und CDU pflichteten Wieland bei. Die Grünen müssten aber den Weg dafür bereiten, weil sie „einen gewissen Einfluss“ auf die gewaltbereite Szene hätten, meinte der CDU-Abgeordnete Kurt Wansner.
Zuvor hatten sich die Ausschussmitglieder zwei Videofilme vom Abend des 1. Mai in Kreuzberg angesehen. Den einen hat die Arbeitsgruppe (AG) gegen Polizeigewalt angefertigt. Auf dem Film der AG, die mit 36 Beobachtern in Kreuzbreg unterwegs war, ist zuerst ein friedlicher, tanzender Demonstrationsblock und sind später Festnahmeaktionen und Wasserwerfereinsätze zu sehen. Wie berichtet vertritt die AG die gestern über die PDS in den Innenausschuss getragene Auffassung, dass die Polizei die Krawalle ausgelöst habe, weil sie vor Ende der Demonstration versucht habe, Festnahmen zu tätigen. Der Film belegt diese Beobachtung jedoch nicht. Bei dem anderen Film handelt es sich um einen Mitschnitt des polizeilichen Dokumentationstrupps. In diesem ist eine Szene zu sehen, die Polizeipräsident Hagen Saberschinsky gestern als Beweis dafür anführte, dass die Demonstranten Auslöser für die Krawalle gewesen seien. Die Polizei habe erst eingegriffen, als die Spitze der Demonstration am Oranienplatz plötzlich losgelaufen sei und daraufhin wie auf ein verabredetes Zeichen Steine und Flaschen geflogen seien.
Zwischen CDU und SPD herrschte gestern bei der Bewertung des Polizeieinsatzes ungewohnte Einigkeit. Die Beamten hätten eine „beachtliche Leistung vollbracht“, war der sonst eher kritische innenpolitische Sprecher der SPD, Hans-Georg Lorenz, voll des Lobes. Im Gegensatz zu den letzten Jahren sei es der Polizei „trotz erheblicher Provokationen gelungen, die Ruhe zu bewahren“. Für kommendes Jahr schlug Lorenz allen Ernstes vor, die Polizei soll „die 200 bis 300 Berufsrevolutionäre“ am 1. Mai in Vorbeugegewahrsam nehmen.
Im Fall der sieben Zivilpolizisten, die von zwei Kollegen des Landeskriminalamtes der Körperverletzung im Amt zum Nachteil von unbeteiligten Passanten beschuldigt werden, waren gestern keine Neuigkeiten zu erhalten. Der zuständige Abteilungsleiter der Justizverwaltung bestätigte im Ausschuss lapidar: Die Staatsanwaltschaft ermittele. Die Opfer würden noch gesucht. Derzeit sei es „nicht opportun, Einzelheiten öffentlich zu machen“.
PLUTONIA PLARRE
Zitat:WOLFGANG WIELAND:Die gesellschaftlichen Kräfte müssen die Randaletradition durchbrechen
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