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„Damit lassen sich die Probleme nicht lösen“

Gerd Köhler, in der GEW-Spitze für Hochschulen zuständig, kritisiert die vermeintlichen Bildungsoffensiven des Kanzlers als unzureichend

taz: Der Kanzler gibt 50 Millionen Mark für die deutschen Informatik-Fachbereiche aus. Löst das den Investitionsstau in den Hochschulen?

Gerd Köhler: Der Kanzler hat 50 Millionen Mark angekündigt. Wenn die Länder mitmachen, kommen wir auf 100 Millionen Mark – verteilt über fünf Jahre. Mit dieser Dimension lassen sich die Probleme nicht lösen, die jetzt beispielhaft bei dem Nachwuchsmangel an Softwareingenieuren zu Tage treten. Man braucht nur nach Großbritannien zu schauen oder in die USA, um zu sehen, welche Investitionen nötig sind, um die Bildungseinrichtungen auf die Anforderungen der Wissensgesellschaft vorzubereiten.

Und wie sieht die Vier-Milliarden-„Bildungsoffensive“ aus?

Zunächst ist das nur eine Ankündigung. Da wollen wir erst mal abwarten, wie die genau aussehen soll. Das Humangenom-Projekt soll davon profitieren, die Verkehrstechnik, die Bundeswehr – und am Ende auch der Hochschulbau. Wir werden sehen, ob es eine „bildungspolitische Offensive“ wird – oder da nur ein PR-Bonbon für die Öffentlichkeit.

Wie groß ist die Finanzierungslücke, die sich im Bildungssytem auftut?

Es fehlen allein bei den Hochschulen fünf bis zehn Milliarden Mark. Die rot-grüne Bundesregierung hatte bei Amtsantritt eine Milliarde mehr pro Jahr versprochen. Das wäre schon was – wenn es denn käme, das Geld.

In den USA hat man Erfolge mit Bildungsgutscheinen erzielt. Der Staat gibt Eltern Geld zum Besuch privater Schulen. Wäre das auch ein Modell für hier?

Ich habe Präsident Bill Clinton auf einem Gewerkschaftskongress über Bildungspolitik sprechen hören. Er hat dabei kenntnisreich die „Vouchers“ kritisiert. Die Gutscheine verlagern Entscheidungsprozesse in die Hand von „Kunden“. Markt und Mode regieren. Voucher oder Gutschein sind also ein Instrument der kurzfristigen Steuerung von Bildungsnachfrage.

Vouchers sind in den USA zudem ein Instrument, das staatliche Bildungsausgaben in private Einrichtungen umlenkt. Das polarisiert die gesellschaftliche Auseinandersetzung um Bildungsgüter. Ich finde, wir haben in der Bundesrepublik bislang gut daran getan, den sozialen Zusammenhalt zu sichern – und die Spreizung in eine sehr teure private und eine billige öffentliche Bildung zu vermeiden.

Mit Gutscheinen wird hier zu Lande längst experimentiert.

Ja, deswegen ist es auch richtig, dass man die Diskussion über die Gutscheine sehr genau führt. Es gibt das Studienkontenmodell des rheinland-pfälzischen Wissenschaftsministers Zöllner, das mit Bildungsgutscheinen arbeitet. Ich kann dieser Idee einiges abgewinnen, wenn es etwa darum geht, dass Studierende mit Kindern über Studienkonten ihre Studienzeit flexibler gestalten können – ohne gleich vom Fallbeil der Regelstudienzeit bedroht zu sein. Die Frage ist, ob mit den Studienkonten auch finanzielle Restriktionen, sprich Langzeitgebühren, verbunden sind. Wir sind gegen Studiengebühren.

Ein Gutschein macht ja nur Sinn, wenn das angebotene Gut etwas kostet. Studieren kostet aber nichts – bis jetzt jedenfalls.

Wir sehen die Gefahr, dass mit den Studienkonten klammheimlich auch Studiengebühren hoffähig gemacht werden. Von einem Konto kann man nur dann etwas abheben, wenn man vorher etwas eingezahlt hat. Wir werden die Studiengebühren vielleicht nicht gleich bekommen. Die Studienkonten könnten aber so etwas wie eine Gewöhnungsdroge werden.

Wollen Sie mal träumen? Wie sähe eine Bildungsoffensive aus, die diesen Namen verdient?

Träume fallen auf dem harten Boden der notwendigen Konsolidierungspolitik schwer. Aber wir hätten in der Tat jetzt die Möglichkeit, aus dem immensen Erlös für die neuen Handyfrequenzen etwas für die so stark vernachlässigte Bildungs- und Wissenschaftspolitik zu tun. An der Staatsverschuldung würden nicht länger die Banken verdienen. Die eingesparten Schuldzinsen könnten für Zukunftsprojekte genutzt werden. Wir bekämen die Portemonnaies und die Köpfe frei, Neues zu denken. Auf einen Schlag. Das wäre mein Traum.

INTERVIEW: CHRISTIAN FÜLLER

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