: Pitbulls sind das Kapital der Berliner Jogginghosen-Szene
DIE HUNDEFLÜSTERER
Einer der größten Hochhauskomplexe Westberliner sozialen Wohnungsbaus trägt den Namen „Sozialpalast“. In dessen 70er-Jahre-Keller werden Kampfhunde mit lebenden Katzen gefüttert. Viele Berliner Wohnungsbaugesellschaften dulden indes solches Treiben nicht mehr. Seitdem sich der Streit um Pitbull-Hunde in Berlin radikalisiert, geben etliche kommunale Wohnungsverwaltungen ihre Appartements nur noch an Leute ohne Hund ab.
In Berlin sind 103.000 Hunde angemeldet. Dazu kommt nach einer vom Meinungsforschungsinstitut Info GmbH zum Thema „Heimtierhaltung in Berlin“ durchgeführten Untersuchung eine Dunkelziffer von rund 122.000 Hunden. Längst stellen sich viele Kneipenbesitzer auf die enorme Klientel ein. In bestimmten Gegenden gehören Hundenäpfe und liegen gebliebene Kotelettknochen zum Service. Es gibt vor der Stadt ein Hundemuseum, das Selbstgehäkeltes aus Hundehaaren zeigt. In manchen sozial schwachen Berliner Bezirken gedeihen überhaupt nur noch Zoogeschäfte. „Die Heimtierindustrie ist derzeitig noch der gesündeste Industriezweig der Nation“, vermeldet im Internet der „Verein für bedrohte Hunderassen Berlin e.V.“, der sich für den Schutz der Kampfhunde einsetzt.
Auf jeden 550. Einwohner Berlins kommt ein Kampfhund. Das macht etwa 6.000 Kampfhunde. Sie heißen „Korky“, „Melody“ oder „Pablo“. An ihnen verdienen vor allem Versicherungsgesellschaften. Ein Kampfhund passt meistens nicht mehr in die normale Haftpflicht und braucht eine zusätzliche Police. Auch die Stadt könnte vom Kampfhund profitieren. Das Bundesverfassungsgericht erklärte im Januar eine erhöhte Steuer für diese Hunderassen als zulässig. Die Anfang Mai mit dem Thema befasste Innenministerkonferenz empfahl diese ebenso. Doch wegen zu viel Verwaltungsaufwand wurde die Sondersteuer bisher in Berlin stets abgeschmettert. Die Berliner Oberfinanzdirektion ist schon mit dem Eintreiben der Hundesteuer überfordert. Derzeit gehen ihr jährlich 22,5 Millionen Mark durch die Lappen, weil die Halter ihre Hunde nicht anmelden.
Dagegen häufen sich die Kampfhund-Attacken: Nachdem ein Schwarzfahrer in der U-Bahn seinen Pitbull auf BVG-Kontrolleure hetzte, einem Mann die Nase, einem anderen der Penis und zahlreichen Kindern alle möglichen Körperteile von Kampfhunden abgebissen wurden, ruft der Senat nach einem Verbot der Zucht und Haltung von Kampfhunden. Zwar kann man mit einem solchen Verbot nicht verhindern, dass Dackel und Schäferhunde genauso scharf gemacht werden wie derzeit nachts die Pitbulls auf Neuköllner Friedhöfen.
Aber gemeinhin wird angenommen, dass Ersatzhunde in der Jogginghosenszene weniger Style-Kapital haben als der quadratische Pitbull. Hunde hätten deswegen – so die Hoffnung – als Zeitbomben, Kampfgerät oder Kettensägen ausgedient. Dies würde auch die Situation auf den Berliner Behörden entspannen. Nicht selten wird heutzutage in den Arbeitsämtern über Arbeitslose geklagt, die den Sachbearbeitern mit dem Kampfhund drohen, wenn es nicht bald gute Jobs gibt.
Ab Juni soll der Gesetzentwurf zum Verbot von 14 Kampfhunderassen kommen. Während einer Übergangsfrist werden die Tiere überprüft und sollen nach Bedarf unter Leinen- und Maulkorbzwang gestellt werden. Danach ist die Anschaffung verboten. Diese Pläne ließen den Fernsehjournalisten Daniel Reynes Nazi-Deutschland wittern. Er kündigte eine Kampfhund-Demonstration durch das Brandenburger Tor an, bei der den Hunden Davidsterne angeheftet werden sollten. Auch Sträflingskleidung für die Hunde war im Gespräch.
Dazu kam es jedoch nicht. Das Simon-Wiesenthal-Zentrum in Paris protestierte gegen den Aufzug, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Andreas Nachama, sagte: „Die haben nicht mehr alle Latten am Zaun.“ Reynes, der seine Pitbull-Hündin auch ins Bett lässt, wenn er mit seiner Lebensgefährtin Sex hat, entschuldigte sich und sagte die Demo ab.
Der „Verein für bedrohte Hunderassen“ agitiert indessen im Internet weiter und fordert nun eine „Schweigestunde ohne Hunde“. Unter www.rassehunde.de findet sich der Vereinsprotest unter der Rubrik „das leidige Thema“. In einem Forum werden Adressen billiger Haftpflichtversicherungen und Erlebnisse ausgetauscht. Schön ist der Satz eines Bullmastiff-Halters: „Auch die anderen Rassen sind keine Engel.“ Lieblingsspruch in der Kamphund-Debatte bleibt jedoch „Nicht die Hunde, sondern die Halter sind das Problem.“
Wer aus dem Tierheim Lankwitz einen Kampfhund will, dem wird schon jetzt ein Tierschutzinspektor ins Haus geschickt: „Da wird geschaut, ob an der Wohnungstür keine rote Laterne hängt und der Freund der Freundin keine Rolex trägt“, sagt die Tierheimsprecherin. Neben dem guten Beruf des Tierschutzinspektors gibt es die neue Profession des „Hundeflüsterers“. Das sind Leute, die im Berliner Umland beißtolle Pitbulls resozialisieren. KIRSTEN KÜPPERS
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