: Bilder ohne Worte
Beim Potsdamer Festival Unidram 2000 sind 15 Off-Theater-Gruppen aus Osteuropa zu Gast. Kafka trifft auf Tschechow, Performance auf Schwanzparade – Sprache ist hier nur ein Ausdrucksmittel unter vielen
Wenn im Theater auf Worte verzichtet wird, kann die Geschichte der nonverbalen Logik des Traums folgen. Sie darf unvollständig sein, irgendwo einsetzen und wieder aufhören. Menschen nehmen verschiedene, sich wandelnde Gesichter an, und die Ereignisse folgen dem emotionalen Erleben des Träumers.
Mit derart gestaltetem Traumtheater eröffnete am Sonntag die Gruppe deGater 87 das Festival und gab damit zugleich die künstlerische Leitlinie vor. In der Theaterperformance „Paradies“ suchen drei Menschen ebendieses in zwei kleinen Hotelzimmerchen und einer Pförtnerloge. Sie treten als Hase, Pförtner, Revuegirl, Revolverheld, Femme fatale und manchmal auch als sie selbst auf. Die Rollen wechseln mit den Kleidern, das unverstellte Ich wird kenntlich in der Verzweiflung. Das Paradies müsste sich an diesem Ort und zwischen diesen dreien ereignen, denn es gibt nichts anderes. Zur Hölle wird es aus demselben Grund. Wortloses, streng choreografiertes Theater, das – ausgehend von Alltagsritualen – einen weiten Assoziationsraum öffnet.
Unidram, das Festival für osteuropäisches und Off-Theater wird seit sieben Jahren von deGater 87 und der Universität Potsdam veranstaltet. Sprache ist hier nur ein Ausdrucksmittel unter anderen. Perfektion wird eher als Langeweile wahrgenommen, Professionalität aber unbedingt angestrebt.
Die Neugier der Festivalmacher galt von Anfang an der vitalen Experimentierfreudigkeit osteuropäischen Theaters. „Wir haben gemerkt, dass gerade ein stark körperliches Theater, das aus Osteuropa kommt, oft unmittelbar aufs Publikum wirkt,“ sagt Jens-Uwe Sprengel von deGater 87. „Es ist einfach nicht so klar designt und distanziert.“
Unidram ist ein Festival, das als Forum für studentische Theaterguppen begann und inzwischen ziemlich erwachsen geworden ist. Aus 150 Bewerbungen wurden in diesem Jahr 15 Inszenierungen ausgesucht, und mit 4.000 Besuchern in dieser Festivalwoche rechnen die Veranstalter.
Manche Gruppen, so wie das tschechische Teatr Novo G. O. Fronta sind zum wiederholten Male zu Gast, andere treten zum ersten Mal in Deutschland auf, wie das KAM Theater aus Komsomolsk, die von Sibirien nach Potsdam fünf Tage mit dem Zug unterwegs waren, um hier ihre Kafka-Adaption „Die Verwandlung“ zu zeigen.
Die Metamorphose des Gregor Samsa in einen Käfer ist in der Inszenierung der russischen Off-Theatergruppe kein individuelles Identitätsproblem, sondern ein Katalysator für familiäre Auseinandersetzungen: Kafka goes Cechov.
Wer als Besucher erst jetzt auf Unidram aufmerksam wird, kommt spät, aber nicht zu spät. Die Marburger Theaterwerkstatt provoziert am Donnerstag mit der Performance „Umschlagplatz, Laufschritt, Schwanzparade – Im original deutsch“, das Sofa-Trio aus Budapest präsentiert am Freitag den „Kuckuck-Killer“, ein verspieltes, dadaistisch genanntes Tanzmärchen, und gleich anschließend spielt Kroke auf, das international erfolgreiche Klezmertrio aus Krakau.
Am Sonnabend gibt es Bewegungstheater im Doppelpack. Zuerst die absurden Körperstudien der polnischen Gruppe Teatre Cinema („Bilard“) und schließlich blackSkywhite aus Moskau, die mit excessivem Tanztheater den nonverbalen Anspruch des Festivals noch einmal bekräftigt. Das Festival ist immer auch ein Fest: Es gibt eine Piroggen-Party, und das große Abschlussfest mit Feuerwerk am Frühlingshimmel findet am Sonnabend im Babelsberger Waldschloss statt.REGINE BRUCKMANN
Noch bis Sonnabend, im Waldschloss, Stahnsdorfer Str. 100, Lindenpark, Stahnsdorfer Str. 76, Waschhaus, Schiffbauergasse 1, Potsdam. Infos unter: (03 31) 71 91 39
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