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Ohne Skandale ist Oper nur halb so schön

Die Berliner Opern-Regisseure trauen ihrem Genre nicht mehr. In der zu Ende gehenden Spielzeit haben sie mit gewagten Kunstgriffen versucht, sich in die Jetzt-Zeit zu katapultieren. Gelungen ist das nur Hans Neuenfels bei der Verdi-Oper „Nabucco“. Daraus wurde gleich ein Skandal

von RALPH BOLLMANN

Ohne Skandale wäre Oper nur halb so schön. Mit streikenden Orchestern und erregt debattierten Haushaltslöchern unterhielten Berlins Musiktheater das Publikum in den vergangenen Jahren ebenso wie mit Dirigenten, die urplötzlich entnervt das Handtuch warfen.

Doch in der zu Ende gehenden Spielzeit geschah, woran niemand mehr geglaubt hätte: Berlins Opernfreunde erregten sich nicht über das Drumherum, sondern tatsächlich – über die Kunst. Das Wunder geschah ausgerechnet an der kriselnden Deutschen Oper weit draußen im alten Westberlin. Niemand hätte in der vorletzten Saison des seit 20 Jahren amtierenden Intendanten Götz Friedrich noch Großes erwartet, bevor im Sommer 2001 der Leipziger Neutöner Udo Zimmermann das Regiment übernimmt.

„Der Nabucco-Skandal“, titelte das an feingeistigen Höhenflügen sonst wenig interessierte Boulevardblatt B.Z. Der Regisseur Hans Neuenfels, dessen Arbeiten ohnehin zu den wenigen wirklich sehenswerten Arbeiten an dem Charlottenburger Haus gehören, hatte sich an jener Verdi-Oper vergriffen, die vom biederen Teil des Publikums gemeinhin wegen des ohrwürmelnden Gefangenenchors heimgesucht wird.

Neuenfels hatte getan, was im öden Routinebetrieb der Berliner Musiktheater nur höchst selten geschieht: Er hatte die Opernhandlung ernst genommen – und erkannt, dass sich die Geschichte der babylonischen Gefangenschaft der Juden ein halbes Jahrhundert nach dem Holocaust nicht mehr so erzählen lässt wie bei der Mailänder Uraufführung 1842.

Einer der Kunstgriffe, die das Publikum erregten: Ein junges Paar aus der Jetzt-Zeit, ein gewisser Frank Frühkirch samt Freundin Dagmar, stolperten staunend durch das Bühnengeschehen – und projizierten ihre Gedanken per Laptop auf den Bühnenhintergrund.

Was bei Neuenfels funktionierte, ging beim Chefregisseur der Komischen Oper gründlich daneben. Harry Kupfer hatte sich in dieser Spielzeit Mozarts „La Clemenza di Tito“ vorgenommen. Jene Krönungsoper für Kaiser Leopold II. also, mit denen Mozart noch einmal ganz zu den Konventionen des zu Ende gehenden 18. Jahrhunderts zurückkehrte, was dem Werk die Verachtung des noch immer auf das 19. Jahrhundert fixierten modernen Massenpublikums einbrachte.

Deshalb glaubte auch Kupfer, er könne das Werk seinem Publikum nicht unkommentiert zumuten. Er griff zu den Mitteln der Brachialdidaktik: In peinlichen und platten Worten lieferte ein eigens erfundener „Sprecher“ jene Interpretation gleich mit, die Kupfer seiner eigenen Inszenierung offenbar nicht zutraute.

Haben die Opernleute jetzt schon selbst den Glauben an ihr Genre verloren? Es scheint so, denn auch am dritten und repräsentativsten der drei Berliner Opernhäuser, der Staatsoper Unter den Linden, griff Intendant Georg Quander zu einem ähnlichen Verfremdungseffekt. Kein Wunder, schließlich hatte er sich den dicksten Brocken vorgenommen: Giacomo Meyerbeers sperrigen Fünfakter „Robert le Diable“ mit dem berühmten Ballett der aus ihren Gräbern auferstandenen Nonnen im Zentrum.

Der Regisseur suchte diese wenig wahrscheinliche Handlung, die an Verworrenheit die üblichen Operlibretti noch weit überbietet, ebenfalls durch einen Kunstgriff zu retten: Der Titelheld, eigentlich ein Normannenherzog, fand sich bei Quander als Filmvorführer in einem Vorstadtkino wieder. Das war insofern recht praktisch, als sich der mittelalterliche Teil der Handlung zwanglos als Historienschinken hinter einer durchsichtigen Leinwand unterbringen ließ, die nach dem Vorbild von Woody Allens „Purple Rose of Kairo“ einen regen Fußgängerverkehr zwischen Realität und Fiktion zuließ.

Ein großer Wurf war auch das nicht. Dabei ragten „Robert“, die „Clemenza“ und „Nabucco“ aus dem routinierten Einerlei der sechzehn Berliner Opernpremieren in dieser Spielzeit noch hinaus, weil sie sich mit den Grenzen des Genres immerhin noch auseinander setzen. Bundesweit gefeierte Regisseure wie Peter Konwitschny oder Christoph Marthaler sind dagegen an den Berliner Opernhäusern nicht gefragt. Marthalers genialische Version von Jacques Offenbachs Operette „Pariser Leben“ war in der vorigen Spielzeit gerade nicht an einem der Musiktheater, sondern an Castorfs Volksbühne zu sehen. Trotz des vorherrschenden Einerleis haben sich durchaus Akzente verschoben. Das überraschendste Ereignis der Spielzeit war der Wiederaufstieg der Westberliner Deutschen Oper, für die Neuenfels’ „Nabucco“ nicht das einzige Anzeichen war. Das Orchester, das den Spielzeitbeginn noch durch einen Streik vermasselt hatte, spielt wieder, das Haus ist voll, die Einnahmen stimmen.

Für die große Enttäuschung dagegen sorgte die Staatsoper, die mit einem höchst ambitionierten Programm von acht Premieren überwiegend selten gespielter Opern in die Saison gestartet war. Denn mitten in die Spielzeit platzte die Nachricht, dass die Staatsoper das gefeierte – und obendrein billige – Barockrepertoire, das der Dirigent René Jacobs aufgebaut hat, nicht mehr fortführen will. Doch über die wahren Opernskandale wird in Berlin gar nicht mehr diskutiert.

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