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Forscher warnten, Stadt ignorierte

Vor der Explosion von Enschede erlaubte die Stadtverwaltung die Lagerung von zusätzlichen elf Containern mit Feuerwerksmaterial

aus Amsterdam HENK RAJER

Jan Mans, Bürgermeister der Katastrophenstadt Enschede, wird immer einsilbiger. Er und sein Vize Ed Helder haben allen Grund dazu. Je mehr Versäumnisse ihrer Verwaltung ans Licht kommen, desto näher rückt der Zeitpunkt, zu dem sie die politische Verantwortung für die Feuerwerksexplosion in der ostniederländischen Stadt werden übernehmen müssen. Bis gestern waren 16 Tote und 644 Verletzte zu beklagen.

Sprach Vizebürgermeister Helder am Dienstag noch von drei Schiffscontainern, für die seine Verwaltung 1997 der Firma S. E. Fireworks eine Genehmigung erteilt hätte, so waren es gestern schon deren vierzehn. Die Genehmigung für die Ausweitung ihrer Lagerkapazität um elf weitere Container erhielt die Firma, deren Geschäftsführer seit dem Inferno vom letzten Samstag abgetaucht sind, im Jahre 1999.

Und das, obwohl nach einer Untersuchung des Amtes für Angewandte Naturwissenschaftliche Forschung (TNO) in Delft seit 1997 auch den Behörden in Enschede hätte bekannt sein müssen, dass die Lagerung von Feuerwerk in Containern statt in Bunkern lebensgefährlich ist. Bricht in unmittelbarer Nähe eines solchen Behälters mit Feuerwerk ein Brand aus, so die TNO-Studie, könne das darin gelagerte Feuerwerk durch die enorme Hitzeentwicklung schon binnen vier Minuten in die Luft gehen.

Die Container, für die die Stadt Enschede der Firma S. E. Fireworks Genehmigungen erteilte, verfügten nicht über brandabwehrende Betonplatten, die ein Überspringen des Feuers auf die Lagerbestände um mindestens eine Stunde hätten verzögern können. Ein solcher Container, heißt es in der TNO-Studie, habe im Falle eines Brandes die Wirkung einer Bombe.

Die Ergebnisse der TNO-Studie, die von der Regierung der Provinz Limburg in Maastricht in Auftrag gegeben worden war, sind 1997 im Umweltfachblatt Handhaving lang und breit diskutiert worden. Viele Kommunen haben damals nach Gesprächen zwischen Feuerwerksexperten von Polizei, Armee und Gemeindeämtern beschlossen, die Lagerung von Feuerwerk in Schiffscontainern zu verbieten.

Wieviel Ignoranz gehört dazu, derart dringende Empfehlungen in den Wind zu schlagen. In der Regel beraten Sachverständige aus dem Verteidigungsministerium die Gemeinden in der Frage der Lagerung von Feuerwerk. Und obwohl dieses Ministerium seit längerem generell von einer Lagerung in Schiffscontainern abrät, berufen sich die Verantwortlichen der Stadt Enschede jetzt auf die Empfehlung eines inzwischen zwangsbeurlaubten Militärs aus dem Jahre 1998.

Der Major in Diensten eines Beratungsbüros für Umweltgenehmigungen beim Heer soll nach Recherchen der Wochenzeitung Vrij Nederland in der Branche dafür bekannt gewesen sein, dass er Genehmigungen „schnell und unbürokratisch regelte“. Die Staatsanwaltschaft in Arnhem hat inzwischen Ermittlungen gegen den Mann eingeleitet.

Nach wie vor sucht das Katastrophenidentifizierungsteam (RIT) in Enschede nach Vermissten; ihre Zahl liegt zwischen 200 und 300. Ähnlich wie Bürgermeister Jan Mans gibt sich RIT-Chef De Jong wortkarg. Nur widerwillig räumte er am Dienstagabend ein, dass inzwischen Leichensäcke zu jenem Gelände verbracht worden seien, wo seine Mitarbeiter zwischen Schutt und abgebrannten Autos „Fragmente menschlicher Körper“ gefunden hätten.

Und: „Ich befürchte, dass sich deren Zahl in den kommenden Tagen erhöhen wird.“

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