: interview
Willensstärke gefordert
Beatrix Beese, 34, ist von Geburt an gelähmt. Die studierte Sozialpädagogin arbeitet seit zwei Jahren beim Berliner Netzwerk behinderter Frauen e.V. Neben Berufsberatung bietet der Verein Gesprächskreise und Workshops an.
taz: Nur 13 Prozent der behinderten Frauen haben 1995 den überwiegenden Lebensunterhalt aus ihrem Job bestritten. Wo liegen die Probleme?
Beese: Behinderte Frauen bilden das Schlusslicht auf dem Arbeitsmarkt. Viele bringen keine Ausbildung mit, haben jahrelang Kinder erzogen. Bei Unfall oder Krankheit haben sie dann keinen Anspruch auf Leistungen. Mit knapp 40 Jahren beziehen diese Frauen Erwerbs- oder Berufsunfähigenrente, obwohl sie eigentlich nur eine Umschulung oder Qualifizierung bräuchten. Das Arbeitsamt vermittelt viele behinderte Frauen zudem in Berufe, in denen sie gar nicht arbeiten wollen. Es erfordert viel Willensstärke, Fachleuten die Stirn zu bieten.
Welche Hürden müssen Behinderte auf dem Weg ins Berufsleben überwinden?
Nach dem Abitur wollte mich das Arbeitsamt an ein Berufsbildungswerk vermitteln. Ich halte das nicht für den besten Weg. Jeder Behinderte sollte versuchen, im ersten Arbeitsmarkt unterzukommen. Wir kämpfen ohnehin schon mit einem Stigma. Es fördert die Integration nicht, wenn die Behinderten in solch beschützten Bereichen arbeiten. Mein Studium habe ich mir durch den Bürojob selbst finanziert. Dennoch haben mir viele Arbeitgeber nicht zugetraut, dass ich die Anforderungen erfülle. Bei den meisten Arbeitgebern müssen wir immer noch echte Überzeugungsarbeit leisten.
Wie beurteilen Sie die geplanten Änderungen im Schwerbehindertengesetz?
Für behinderte Frauen hat sich durch den Gesetzentwurf so gut wie gar nichts verbessert. Viele behinderte Mütter würden zum Beispiel gerne Teilzeit arbeiten. Als Erleichterung betrachte ich es, dass die Förderung Schwerbehinderter nun im Sozialgesetzbuch geregelt wird. Das Antragssystem muss durchsichtiger werden. Die ganze Bürokratie ist für viele Arbeitgeber eine große Hemmschwelle.Interview: NICOLE MASCHLER
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