Jan Hesse jagt Jan Hesse

Der Ruf eines jungen Berliner Internetproviders ist durch einen gleichnamigen betrügerischen Anbieter im Netz ruiniert. Doch Jan Hesse kann nicht beweisen, dass er nicht Jan Hesse ist

von BARBARA BOLLWAHN DE PAEZ CASANOVA

Jan Hesse ist erst 21 Jahre alt und schon ausgebrannt. Die Nerven des jungen Internetproviders aus Berlin liegen blank. Was dem ehemaligen Elektrotechnikstudenten widerfährt, hat Filmqualitäten. Surrealistische Filmqualitäten.

Seit einem halben Jahr bietet Hesse, der schon mit 17 Jahren Internetberatungen und Netzwerkaufbau betrieb, über seine Firma „Unlimited Access Net“ (www.uanet.de) günstige Standleitungen an. „Die Lösung für alle Berliner, die sich bisher keine Standleitung leisten konnten und daher graue Haare beim Anblick ihrer Telefonrechnung bekommen“, wirbt Hesse, der als Schüler mehrmals erfolgreich bei „Jugend forscht“ teilgenommen hat.

Anfangs lief die Firma, die aus dem Zukunftsfonds der Investitionsbank Berlin (IBB) eine Beratungsförderung bekommt, gut. Hesse konnte sich einen Stammkundenkreis aufbauen. Doch jetzt ist er es, der graue Haare bekommt. Mitte März wurde in „Akte 2000“ bei Sat.1 ein Beitrag gesendet, in dem vor einem Betrüger im Internet gewarnt wurde, der bei eBay-Auktionen Waren anbietet, Anzahlungen kassiert und dann nicht liefert. Der Name des in der Sendung genannten Betrügers: Jan Hesse. Nur: Sowohl bei eBay als auch bei gmx, dem Münchner Anbieter von kostenlosen E-Mail-Adressen, gibt es mehrere Nutzer mit diesem Namen. Und deren Identitäten sind natürlich anonym.

Der Ruf des Berliner Jan Hesse ist jedenfalls in der Informationstechnologiebranche ruiniert. „Wenn jemand den Bericht gesehen hat“, so Jan Hesse, „kann er denken, ich sei das.“ „Überall, wo ich drin bin, ist er auch drin“, hat er mit Schrecken festgestellt. Im Kino würde er über die Folgen der Anonymität im Internet und der Vielfalt von gleichnamigen Nutzern vielleicht schmunzeln, im Leben jenseits der Leinwand ist das nicht lustig.

Den ersten Schreck bekam Hesse, als vor etwa zwei Monaten das Telefon klingelte. Am anderen Ende der Leitung meldete sich ein Anwalt, der einen durch einen Jan Hesse bei einer Auktion bei eBay-Geschädigten vertritt. Mehrere hundert Mark für einen Computer hatte der Geschädigte überwiesen und noch heute wartet er auf die Lieferung. Der Berliner bestätigte ihm „Ja, ich heiße Jan Hesse, ich bin im Internet, ich habe eine Firma und ich bin auch auf Auktionen vertreten.“ Einziger Unterschied zu dem Namensvetter: Er ersteigert bei eBay, wo per Mausklick jeder an weltweit über fünf Millionen Online-Auktionen teilnehmen kann, gelegentlich Dinge wie ein Snowboard, bietet selbst aber nichts an. Hesse hatte das Gefühl, den Anwalt von der Namensgleichheit überzeugt zu haben und verbuchte die Sache unter der Rubrik Missverständnis.

Doch wenige Wochen später flatterte ihm ein Mahnbescheid eines Geschädigten aus Duisburg über 672 Mark ins Haus. „Totaler Blödsinn“, dachte Jan Hesse und nahm sich einen Anwalt. Bald schon fand er die Sache mit dem Namensdoppelgänger nicht mehr zum Lachen. Als er bei potentiellen Kunden Standleitungen anbieten wollte, wurde er immer öfter abgekanzelt: „Ach, jetzt wollen Sie auch uns bescheißen?!“, schimpfte einer. „Sie kenne ich doch“, ein anderer, „ich habe über Sie was im Fernsehen gesehen.“ Mit jedem aufgelegten Hörer wuchs Hesses Verzweiflung. Denn er hat das Problem, dass er nicht beweisen kann, dass er nicht der Jan Hesse ist.

Um zu zeigen, dass er nichts zu verbergen hat, stellte er der taz seinen Anmeldungsnamen und sein Passwort bei ebay zur Verfügung. Nach der Anmeldung mit „janhesse“ und dem Passwort erscheint kein einziger Negativeintrag, sondern nur drei positive Bewertungen. „Alles OK, schnelle Abwicklung, freundlich, gerne wieder, toller e-mail-Kontakt, guter Transfer“, heißt es dort. Das heißt, die Dinge, die er ersteigert hat, hat er pünktlich und korrekt bezahlt. Unter dem Stichwort „Meine erfolgreichen Auktionen“ findet sich kein Eintrag. „Ich biete ja auch nichts an“, so Hesse.

Schaut man jedoch bei dem Benutzer „hesse-jan“ nach, prasseln nur so Beschimpfungen auf dem Bildschirm nieder. In etwa 40 Negativeinträgen finden sich Warnungen wie „Betrüger!!!!!!!!!!!“, „gehöre auch zu den Geprellten“, „werde Anzeige erstatten“, und „SEGR SCHLECHTER NAME“, „die Ware kam nie an!“ Geschädigte haben Mailinglisten eingerichtet. Auch der Berliner Jan Hesse hat sich dort eingetragen – vorsichtshalber nur unter „Jan“.

Der große schlaksige Mann beschreibt sich selbst als rationalen, ruhigen Typ, der, „emotional stabil“ ist. Doch mittlerweile kriegt er das nicht mehr hin mit der Gelassenheit. „Kürzlich war ich kurz vorm Heulen“, erzählt er. Ohne seine Eltern, bei denen er derzeit wohnt, wäre er aufgeschmissen. Vor knapp zwei Wochen erhielt er auf seinem Handy eine makabre Nachricht. Auf dem Display erschien eine Pistole und der Zusatz „9 mm, ich weiß, wo du wohnst“. Weil der Anrufer aber so dumm war, seine SMS-Nummer „dranzuklatschen“, so Jan Hesse, rief er, nachdem er Anzeige erstattet hat, zurück. „Das war einer, der wollte mich nur verarschen“, fand er heraus. Doch nervenstärkend war das nicht.

„Die ganze Geschichte ist beängstigend“, findet auch seine Mutter. Die 44-jährige Hausfrau ist „geplättet“ und fühlt sich „hilflos“. Doch andererseits glaubt sie „an die Gerechtigkeit“. Denn sie weiß: „Mein Sohn ist das nicht und hat es auch nicht nötig, uns geht es gut genug.“ Auch sein Anwalt, Jirka Hofmann, der Hesse seit etwa einem Jahr kennt, ist von dessen Unschuld überzeugt. „Herr Hesse hat es nicht nötig, er ist materiell abgesichert.“ Er weist darauf hin, dass der Geschädigte beweisen muss, dass er „mit diesem Herrn Hesse“ einen Vertrag abgeschlossen hat, um seine Ansprüche geltend zu machen. Hofmann, der gegen den Mahnbescheid Widerspruch eingelegt hat, geht davon aus, dass noch mehr Forderungen eintrudeln werden. Unberechtigte Ansprüche könne er zwar abwehren, sagt er, doch die Rufschädigung kann er nicht rückgängig machen. Trotzdem erwägt er Schritte gegen SAT 1, die Vor-und Zunamen gebracht hatten.

Der Presserechtler Christian Schertz weist darauf hin, dass bei voller Namensnennung, die nur ein entsprechend großer Verbraucherschaden rechtfertigen würde, darauf hingewiesen werden muss, dass der Namensträger mehrfach im Internet vorkommt. Der zuständige SAT 1-Redakteur kann sich nicht mehr erinnern, ob dieser Hinweis erfolgte.

Während Jan Hesse diverse Kunden verloren hat, die der Macht der Fernsehbilder erlegen sind – den bisherigen Schaden beziffert er auf 40.000 Mark –, halten Kollegen, die ihn länger kennen, zu ihm. Ein Accountmanager eines Berliner Internetproviders, wo Hesse einige seiner Geräte stehen hat, sagt: „Das stinkt zum Himmel, das Täterprofil will auf ihn nicht zutreffen.“ Auch Christian Fitzner, der Postfächer im Internet anbietet und bei dem Hesse einige Zeit gearbeitet hat, glaubt an Jan Hesse. „Wir haben herzhaft gelacht, als er das erzählte“, sagt der 34-Jährige. „Wenn er das wäre, wäre meine Menschenkenntnis dahin.“

Dem Pressesprecher von eBay Deutschland, Joachim Guentert, ist der Fall Jan Hesse hinlänglich bekannt. Nachdem die ersten Beschwerden eintrudelten, wurde der Betrüger ausgeschlossen. Den betrügerischen Jan Hesse bezeichnet Guentert als „modernen Räuber“ mit einer „hohen kriminellen Energie“. Guentert weiß: „Wer es geschickt macht und kriminelle Energie hat, meldet sich unter falschem Namen an.“ Bei gmx, dem Münchner Anbieter kostenloser E-Mail-Adressen, wo Jan Hesse ebenfalls eine Adresse hat, gibt es sehr viel Adressen auf den Namen Jan Hesse, die sich lediglich durch Punkt, Bindestriche oder Zusammen- oder Getrenntschreibung unterscheiden. Die „Betrügeradresse“ wurde nach Angaben der Pressesprecherin Gerlinde Kraus Mitte März abgeschaltet.

Jan Hesse ist die grenzenlose Freiheit im Internet aber längst zum Verhängnis geworden. „Ich bin unter meinem Namen nicht mehr gesellschaftsfähig“, sagt er. Deshalb hat er nicht nur Visitenkarten und Briefbogen mit seinem Namen vernichtet, sondern versucht auch den Betreibereintrag seiner Domain zu ändern. Und: Vor kurzem hat er eine Namensänderung beantragt. Bald wird er den Namen seiner Mutter tragen, die wieder geheiratet hat. Als seine Mutter beim Standesamt vorsprach, bekam sie zu hören: „Ach der, alles klar.“