Kubas Altschulden

Die Beziehungen zwischen Kuba und Deutschland waren drei Jahrzehnte lang Sache der DDR. Übriggeblieben sind vor allem Schulden. Dieses Wochenende fährt eine Regierungsdelegation auf die Insel. Dort soll über die Rückzahlung verhandelt werden

von KATHARINA KOUFEN

Der kubanische Staatsminister Carlos Lage Dávila spricht gern von der Schönheit seiner Insel und davon, dass immer mehr deutsche Touristen ihren Urlaub dort verbringen. Aber jedesmal, wenn er gerade wieder den weißen Strand und die Kokospalmen heraufbeschwört, fragen ihn die Journalisten nach der Situation der Menschenrechte. „Bei dieser Diskussion wird oft vergessen, dass die Revolution unser Volk vor dem Elend beschützt hat, das die anderen lateinamerikanischen Staaten in den letzten Jahrzehnten erlitten haben“, antwortet er dann. „Kuba ist die Nummer eins in Lateinamerika, was das Gesundheits- und das Bildungssystem angeht.“

Und er hat Recht: Auf Kuba können mehr als 95 Prozent der Bevölkerung lesen und schreiben – auf der Nachbarinsel Haiti sind es gerade einmal 45 Prozent. Auch Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul, die Carlos Lage Ende März nach Deutschland eingeladen hat, würdigt die Verdienste der Revolution. Auf die Frage nach den Menschenrechten antwortet sie bei dem Gespräch in Berlin etwas vage: „Wir warten auf weitere Signale aus Kuba.“ Es sei jedoch „doppelzüngig“, von Menschenrechtsverletzungen zu sprechen, sobald die Rede auf die Zusammenarbeit mit Kuba komme, und gleichzeitig in Länder wie China zu investieren. „Das werfe ich der Vorgängerregierung vor.“ Ihr Motto: „Wandel durch Entwicklung“. Die Erfahrung zeige, dass das Wirtschaftsembargo der USA nichts bewirkt habe, allenfalls Verhärtung. Im Dezember 1999 hat Deutschland die offizielle Zusammenarbeit mit Kuba wieder aufgenommen. Dieses Wochenende besucht erstmals seit der Revolution eine Regierungsdelegation die Insel.

Drei Jahrzehnte lang spiegelte sich in den Beziehungen zwischen Kuba und Deutschland der Ost-West-Konflikt wider. Seit 1963 hatte die Bundesrepublik – mit kurzer Unterbrechung – keine diplomatischen Beziehungen zu Kuba unterhalten. Die DDR und Kuba hatten Botschafter ausgetauscht – laut Hallstein-Doktrin ein unfreundlicher Akt gegen Westdeutschland. Erst nach dem Ende des Sozialismus in Osteuropa öffneten beide Staaten ihre Botschaften in Havanna und Bonn wieder.

Die Entwicklungszusammenarbeit hingegen erlebte nach der Wende nur ein kurzes Revival. Die Regierung Kohl prüfte die DDR-Zusammenarbeit und kam zu dem Ergebnis: Kuba ist ein totalitärer Staat. Im Sommer 1990 wurden alle Projekte auf staatlicher Ebene eingestellt. Auch günstige Kredite, wie die Bundesrepublik sie anderen Staaten im Rahmen der Finanziellen Zusammenarbeit gewährt, gibt es für Kuba bislang nicht. Altschulden überschatten die Beziehungen.

Die Gesamtverschuldung Kubas beläuft sich auf etwa vierzig Milliarden Dollar. Diese Zahl nannte der kubanische Zentralbankchef Francisco Soberón im April letzten Jahres. Etwa ein Viertel davon ist in Devisen verbucht und stammt vor allem aus Krediten westlicher Industriestaaten – vor allem aus Japan, Spanien, Frankreich und Argentinien. Deutschland kommt erst an achter Stelle mit Devisenforderungen von 125 Millionen Mark: 65 Millionen aus westdeutschen Exportbürgschaften, größtenteils noch aus den Zeiten der sozial-liberalen Koalition, 60 Millionen Mark aus einer Devisenforderung der DDR. Die Handelsschulden bei der Bundesrepublik hätten bis 1996 zurückgezahlt werden müssen. Doch Kuba setzte 1988 den Schuldendienst aus – in der freien Marktwirtschaft ein Kapitalverbrechen. Seitdem ist die Finanzielle Zusammenarbeit auf Eis gelegt, gibt es für Kuba keine deutschen Kredite mehr.

Der größte Teil der kubanischen Schulden ist indes ein Relikt aus dem sozialistischen Wirtschaftsraum – und in Transferrubeln verbucht. Eine Recheneinheit, die den Finanzministern Kopfzerbrechen bereitet. Kompliziert genug, dass es diese nur zur Verrechnung des Außenhandels geschaffene Währung nicht mehr gibt. Noch komplizierter ist es, den Tauschhandel von Waren und Dienstleistungen heute zu bewerten.

Auch im deutschen Finanzminsterium hat man die Taschenrechner gezückt. Denn die DDR war damals nach der Sowjetunion zweitwichtigster Handelspartner Kubas. Im Rahmen des RGW (Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe) gewährte sie Kuba günstige Kredite und Handel zu Sonderkondiditionen: Die Kubaner lieferten Zucker, die Deutschen schickten Traktoren, Zahnarztbohrer und Milchpulver.

Die Forderungen der DDR sind nach Artikel 12 des Einigungsvertrags 1990 auf die Bundesrepublik übertragen worden. 834 Millionen Transferrubel – das ist die Summe, die nun unter „Außenstände“ bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) als Verwalterin der DDR-Altschulden laufen. Sie entspreche zwei Milliarden Mark, hatte das Finanzminsterium zunächst ausgerechnet – das sei der Wert der Waren, die damals geliefert und dann nicht bezahlt wurden, plus Zinsen. Mittlerweile gehe es allerdings nur noch um 230 Millionen Mark, versichert ein Mitarbeiter des Ministeriums. Das sei die „gesamte Schuld Kubas gegenüber der Bundesrepublik“ nach dem heutigen Stand – immer noch ein klares Aktivsaldo für die Deutschen.

Für viele Kubaner, aber auch für Entwicklungsverbände hierzulande ist keineswegs klar, dass es sich um einen Saldo zugunsten der Bundesrepublik handelt. Denn: Hat die DDR-Nachfolgerin überhaupt ein Recht, diese Schulden einzufordern? Die Regierung Kohl habe den Einigungsvertrag sehr einseitig ausgelegt, kritisieren Verbände wie Solidaritätsdienste International (SODI), die Nachfolgeorganisation der Koordinierungsstelle staatlicher Entwicklungshilfe in der DDR, oder die Berliner Kontaktstelle für Umwelt und Entwicklung KATE. Zusammen mit anderen Verbänden haben die beiden eine Kampagne gestartet, die einen vollständigen Schuldenerlass für Kuba fordert. Nach Artikel 12 sei die einseitige Kündigung der Verträge ungerecht, meint etwa Jürgen Menthe von KATE.

Die kubanische Regierung macht DDR-Verträge geltend, die die BRD nach dem Ende des sozialistischen Deutschlands nicht eingehalten hat. So hätte die BRD als Rechtsnachfolgerin der DDR auch deren Liefergarantien übernehmen müssen. Sie habe aber Anfang der 90er-Jahre weder die mit der DDR vereinbarten Zuckerlieferungen angenommen, noch habe sie für Kuba bestimmte Maschinen aus ostdeutscher Produktion zu Ende gebaut – vielmehr seien unbrauchbare, halbfertige Geräte geliefert worden. Dringend benötigte Importe – wie Milchpulver – blieben aus. Der tägliche Liter Milch, den „die Revolution“ jedem Kind bis zu sechs Jahren garantierte, gehört seitdem zum historischen Teil der revolutionären Errungenschaften.

Gleichzeitig war es für Kuba schwer, Zucker und Zitrusfrüchte loszuwerden: Den gewaltigen Markt der Sowjetunion gab es nicht mehr. Kuba verlor seine Monopolstellung als Exporteur tropischer Produkte für die sozialistische Welt. Die Sowjetunion hatte dem Bruderstaat Rohöl zu Vorzugspreisen geliefert. Obendrein zahlten die Russen einen Solidaritätspreis für die Zuckerimporte, der 1985 zwölfmal so hoch lag wie der Weltmarktpreis, 1990 immerhin noch drei mal so hoch. Mit dem Ende der UdSSR fielen auch diese Subventionen weg. Hinzu kommt, dass Kuba seine Importe seitdem in Dollar bezahlen muss.

Ein weiteres Argument gegen die Schuldenforderungen der Bundesrepublik wirft die Kampagne in den Ring: Angesichts der Wirtschaftskrise seit Mitte der Achtzigerjahre hatte die letzte Regierung unter Lothar de Maiziere bereits einen vollständigen Erlass der Schulden Kubas beschlossen – zu spät: Kurz darauf musste die einzige demokratisch gewählte DDR-Regierung den Hut nehmen, ohne ihren Beschluss umsetzen zu können.

Auch BDI-Chef Hans-Olaf Henkel, der bei seinem Kubabesuch im Mai 99 Sympathien für den nimmermüden Fidel Castro entwickelt hat, forderte die Bundesregierung auf, die Altschuldenfrage „so rasch wie möglich zu lösen“. Sein Argument: Handel sei die beste Methode für Wandel – ganz im Sinne der gängigen These, ohne freie Marktwirtschaft könne es keine Demokratie geben.

Um das Kubageschäft in Gang zu bringen, sind nach Auffassung Henkels staatliche Hilfen nötig, etwa durch Hermes-Bürgschaften, über die der Staat die Firmen für bestimmte Verluste entschädigt. Solche Exportgarantien will Bundeswirtschaftminister Werner Müller aber erst übernehmen, wenn geklärt ist, wie man mit den Altschulden umgeht – vor allem mit jenen aus den BRD-Exportkrediten, die seit 1988 nicht mehr bedient werden.

Vielleicht werden bald deutsche Touristen unter Kokospalmen liegen, während im Hintergrund MAN-Lastwagen brummen und Liebherr-Bagger die Gruben für TUI-Hotels ausschaufeln – mitten im Sozialismus. Mit freundlicher Unterstützung des Comandante.

KATHARINA KOUFEN, 29, Wirtschaftsredakteurin der taz, hat Lateinamerikanistik studiert