Die Hamburger Simulation

■ Die Kulturberichterstattung in einer Millionenstadt muss den Realitäten entsprechen: eine Stellungnahme der Berliner taz-Kulturredaktion zu den Kürzungen im Hamburger Kulturteil

„Berlin ist die Hauptstadt, und in der Hauptstadt müssen die Hauptsachen geschehen“, schrieb Bodo Morshäuser 1983 in einem Roman, der nicht zufällig „Die Berliner Simulation“ hieß, denn schon damals handelte es sich hierbei hauptsächlich um wishful thinking. Nun steht einer Metropole eine gewisse Arroganz zu, und für Berlin scheint sie geradezu konstitutiv. Tatsache aber ist, dass es in Deutschland einige große Städte gibt, in denen einige große Dinge geschehen. Auch was die Kultur angeht. Wir müssen an dieser Stelle nicht aufzählen, dass zum Berliner Theatertreffen 2000 von den zehn geladenen Inszenierungen drei aus Hamburg kommen oder dass sich die Elbstadt mit Fünf Sterne Deluxe, den Beginnern und dem Mojo-Club in Sachen HipHop durchgesetzt hat (ach ja, die Hamburger Schule nicht zu vergessen). Müssen wir nicht, tun wir aber trotzdem. Denn es hat sich offensichtlich eine Verwirrung eingeschlichen, die auch die Entscheidungsträger bei der taz ergriffen hat.

Seit Jahren wird die Hamburger Kulturseite dieser Zeitung von zwei RedakteurInnen betreut, von denen erwartet wird, dass sie nicht nur von der Planung über Layout bauen und Texte redigieren bis hin zur Korrektur die tägliche Produktion der Seite abwickeln, sondern selbstverständlich auch alle Kulturtermine und Veranstaltungen der zweitgrößten Stadt Deutschlands im Kopf haben, diese einzuschätzen wissen und kritisch begleiten. Dass sie darüber hinaus Tendenzen aufspüren, analysieren und Themen setzen wollen, entspricht ihrem journalistischen Selbstverständnis. Das ist – lesen Sie die beiden vorangestellten Sätze ruhig noch einmal – verdammt viel Arbeit. Sechs Redakteure haben in den vergangenen vier Jahren den Job geschmissen, weil die Arbeit über ihre Kräfte ging oder sie das Gefühl hatten, sie unter diesen Bedingungen nicht zufriedenstellend erledigen zu können. Das sind zu viele.

Genannte Entscheidungsträger scheinen das nicht so zu sehen. Oder sie sind nicht in der Lage, die Fluktuation mit der übernatürlichen Jobdefinition in Verbindung zu setzen. Statt die Arbeitsbedingungen – und damit sicherlich auch das Produkt – zu verbessern, wurde im Februar dieses Jahres der Honorartopf für freie Mitarbeiter gekürzt, das heißt perspektivische Vielfalt eingeschränkt zugunsten nochmals erhöhter Arbeitsbelastung der Redaktion. Auf die folgende Kündigung der amtierenden Kulturredakteure wurde mit der Streichung einer der beiden Stellen reagiert. Sollte es bei dieser Entscheidung bleiben und eine Person für die kritische Betreuung der Kultur dieser 1,6-Millionen-Metropole verantwortlich sein, hätten wir es genau genommen nicht mehr mit einer Kulturredaktion zu tun. Man müsste dann in der Hauptsache von einer Kulturredaktions-Simulation sprechen. Das kann für Hamburg nicht gut sein. Und für die taz erst recht nicht.

Gerrit Bartels, Harald Fricke, Dirk Knipphals, Christiane Kühl, Kolja Mensing, Volker Weidermann, Brigitte Werneburg, Patricia Wolf