piwik no script img

Die Klassiker des Inline-Lebens

Nicht bei der Blade-Night pulsiert das eigentliche Skaterleben Berlins, sondern jedes halbwegs trockene Wochenende am Kronprinzessinnenweg und tagtäglich auf dem Winterfeldtplatz. Doch die Skater hoffen auf noch mehr öffentliche Plätze

von KATRIN CHOLOTTA

Die ersten sind bereits kurz nach Sonnenaufgang auf dem Asphalt. So genannte Fitness-Skater. Sieben Kilometer lang geht es auf dem Kronprinzessinnenweg neben der Avus im Grunewald schnurgeradeaus. Keine knatternden Motorräder, keine stinkenden Autos, die in die Quere kommen könnten. Der glatte Asphalt ist exklusiv für Fußgänger und Radfahrer. Und Skater, wie man hinzufügen müsste. Wofür sich zweimal im Monat 50.000 Skater auf den abgesperrten Straßen der Blade-Night drängeln, ist auf dem „grünen Klassiker“ längst Alltag. Fußgänger, Fahrradfahrer, Jogger, Rollstuhlfahrer und Skater teilen sich rücksichtsvoll die breite Rennstrecke.

Die wenigen Parkmöglichkeiten am Hüttenweg, dem Anfang der Rollbahn, sind nicht nur am Wochenende hoffnungslos erschöpft. In den Kofferräumen der Autos sitzend, schnallen sich Väter und Mütter, Singles und Verliebte, Fanatiker und Genießer den begehrten Inline-Rollschuh an die Füße. Geduldig erklären Profiskater aufmerksamen Anfängern wirkungsvolle Bremstechniken. Im Stimmengewirr sind auch viele französische und englische Wortfetzen auszumachen. Kathrin Kian, die mit Kind und Kegel im Grunewald unterwegs ist, scheut selbst den weiten Weg aus Pankow nicht. Es gebe ja sonst „kaum Möglichkeiten, die Inlines zu benutzen“, sagt Kian, die erst das dritte Mal auf Rollen steht, „die Blade-Night ist mir doch einfach viel zu voll“.

Ähnlich sieht es die 24-jährige Aviva Brückner, die „mindestens einmal pro Woche“ mit ihrem Vater den Kronprinzessinenweg abfährt. Dank zusätzlichem Fitnessprogramm schaffen die beiden die 14 Kilometer in weniger als 30 Minuten.

Doch nicht jeder hat den Ehrgeiz, neue Streckenrekorde aufzustellen. Ob in kurzer Jeans, mit Anzug oder im Bikini – scheinbar alle Lebenssituationen sind auch auf Rollen zu meistern. So wird telefoniert, gegessen und sogar gelesen. Selbst Beziehungsprobleme lassen sich gut in der schwungvollen Bewegung diskutieren. Ein dichtes Blätterdach sorgt dabei für angenehmen Schatten. Vereinzelte Baumstümpfe laden zum Sonnen und manchmal dringenden Verschnaufen ein.

Mit schmerzverzerrtem Gesicht hat sich auch Susanne Bensch bis fast zum Ende der Blade-Strecke vorgekämpft. „Wir haben die Inlines nur übers Wochende geliehen“, sagt die 28-Jährige wartend, während ihr Freund das Auto holt, „leider habe ich an beiden Füßen dicke Blasen bekommen.“

Wer nach dem Kronprinzessinenweg immer noch nicht genug hat, kann auf der Havelchaussee weitere Kilometer absolvieren. Der Asphalt ist hier sehr rissig und die Strecke nicht mehr eben. Dafür begegnet man nur noch vereinzelt Skatern. Dank der Tempo-30-Straße können im Rollvergnügen auch blank geputzte Harleys und Cabrios bestaunt werden. Ein warmer Geruch von Kiefern durchzieht die Luft, während fernes Kindergeschrei von den Badestellen des Wannsees herüberdringt. In den vielen Steigungen ackern so schnaufende Mountainbiker mit schwitzenden Rollschuhfahrern dem Grunewaldturm entgegen.

Für Ingo Bruns jedoch, ist das „schlichte Geradeausfahren einfach langweilig“. Er skatet täglich etwa drei Stunden auf dem Winterfeldtplatz in Schöneberg. Unter der Klanghaube seines Walkmans scheint der 31-Jährige über die rötlichen Platten zu schweben. Kunstvoll setzt er einen Fuß vor den anderen, dreht mühelos mit geschlossenen Augen eine Pirouette und gleitet rückwärts weiter. „Musik macht mich mutiger“, sagt Bruns, der kaum Schützer trägt, „man spürt die Technik einfach.“

Der Winterfeldtplatz sei der einzige Platz in in der Stadt, der „wirklich gut“ zum Skaten geeignet ist. „Berlin steckt noch tief in den Kinderschuhen“, kommentiert der Steglitzer die wenigen Möglichkeiten weiter. Er wünscht sich nach Pariser Vorbild ganztägig abgesperrte Innenstadtbereiche und kleine Events mit Musik: „Die Leute wollen Spaß haben, und finden bisher keinen Ort.“ Da die Straßenqualität sehr schlecht sei, sind die Rollschuhe für ihn auch „kein wirkliches Fortbewegungsmittel“. Die Blade-Night lässt er dennoch selten ausfallen.

Während zwei Jungen mit übergroßen Klamotten aufgereihte Pflastersteine umfahren oder sich in der rollenden Standwaage üben, dringt aus dem hinteren Drittel des Platzes das Geklapper aufeinander treffender Holzschläger. Viermal in der Woche treffen sich etwa 20 Stammspieler zum Hockey. Unter ihnen auch einige Profis. So ist Niko Thielsch bereits seit über sieben Jahren bei den Berliner Eisbären. Trotz täglichen Trainings schafft der 16jährige es auch noch am Wochenende für vier Stunden auf den Winterfeldtplatz. Wie Kunstskater Ingo Bruns freut er sich über die „vielen, interessierten Zuschauer“ und die „tolle Atmosphäre auf dem Platz“. „Hier gibt es keinen Neid, man achtet einander“, sagt Bruns. Er habe daher schon viele nette Bekanntschaften geschlossen: „Manchmal sitzt man einfach nur da und redet.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen