Das Herz

Wolfgang Brauer gilt in der PDS als Sektierer. Er könnte Petra Pau heute die Rote Karte zeigen

von UWE RADA

Was ist das Gegenteil eines Reformers? Wolfgang Brauer überlegt. „Ein Stinkkonservativer?“, fragt er zurück, „oder ein Radikalrevoluzzer?“ Brauer zuckt mit den Schultern, als wolle er demonstrieren, dass damit auch der Begriff des Reformers untauglich sei.

Und was ist Wolfgang Brauer selbst? Zuerst fallen ihm die Urteile der anderen ein. Als „Betonkopf“ sei er schon beschimpft worden, als „Stalinist“, ja sogar als „Revisionist“. Das soll wohl alles heißen – oder gar nichts. Wolfgang Brauer reklamiert deshalb gute Gründe für sich, sich nicht festlegen zu wollen. „Das sind doch eh alles nur Kampfbegriffe“, sagt er.

Dieses Vokabular kommt einem bekannt vor. Schuld sind immer die anderen, nie hat man sich selbst in die Ecke manövriert. Und tatsächlich. Innerhalb der Berliner PDS gilt der 46-jährige Lehrer aus Marzahn als notorischer Querulant, als Oppositioneller in seiner eigenen Partei, und auf die ist man, vor allem seit dem Bundesparteitag in Münster, nicht gut zu sprechen. Vor allem nicht auf Seiten der Reformer.

Opposition, das ist die einzige Schublade, in die sich Brauer stecken lässt. Opposition ist sein Stichwort. „Bei den vergangenen Abgeordnetenhauswahlen“, schimpft er, „ging es der PDS ja nur noch um Koalitionsfähigkeit.“ Der einzige Weg für die Partei sei aber der einer linken, sozialistischen Opposition.

„Vor fünf Jahren wäre diese Position noch gang und gäbe gewesen“, sagt Brauer, „heute wird man damit in die Ecke eines Sektierers gerückt.“ Das könnte auch Sahra Wagenknecht sagen oder Ellen Brombacher von der Kommunistischen Plattform. Aber Brauer, der ohnehin mehr wie ein alternativer Lehrer der Siebzigerjahre denn wie ein humorloser Apparatschik wirkt, sagt es anders, mit viel Charme und immer bereit, auch über sich selbst zu lachen.

In Opposition gerät Brauer mit solchen Positionen auch zur Berliner PDS-Landesvorsitzenden Petra Pau, die sich in der Vergangenheit deutlich für eine Rolle der PDS als Regierungspartei im Wartestand stark gemacht hatte. Pau, die lange Zeit auch als mögliche Nachfolgerin des scheidenden Bundesvorsitzenden Lothar Bisky gehandelt wurde, muss in den Augen Brauers erst einmal vor der eigenen Haustür kehren.

Den jüngsten Stasi-Skandal im Berliner Landesvorstand vor Augen, meint Brauer, es könne unmöglich sein, dass Petra Pau nicht um die Stasi-Mitarbeit von Cornelia Hildebrandt gewusst habe. Falls dies dennoch der Fall sei, habe sie ihren Landesvorstand nicht im Griff. In beiden Fällen sei also ein klares Wort vonnöten.

Auch für Wolfgang Brauer, den Oppositionellen in der Oppositionspartei, ist Münster zur Metapher geworden. Allerdings nicht für die Sinnkrise der PDS, sondern für die Wiederbesinnung auf ihre eigentlichen Inhalte. Ob ein Parteitag wie in Münster auch in Berlin möglich sei? „Petra Pau polarisiert“, sagt Wolfgang Brauer, „da kann es schon sein, dass die Basis sie das spüren lässt.“ Brauer meint damit weniger den Leitantrag des Landesvorstandes, der ihm, ohne dass er es zugeben würde, ein Dorn im Auge ist. Er meint vor allem die Affäre Hildebrandt, ohne zuzugeben, dass er die Offenlegungsklausel am liebsten abschaffen würde.

Da ist sie also wieder, die Stasi-Debatte, die ja in Wirklichkeit eine Vergangenheitsdebatte, eine DDR-Debatte ist. Wolfgang Brauer war zuerst DDR-Bürger, dann kam er in die Bundesrepublik und das Berliner Abgeordnetenhaus. „Andere dagegen“, sagt er und meint den größten Teil der Reformer, „würden ihre DDR-Biografie am liebsten vergessen machen.“ Dann, schimpft Brauer, wären sie noch unbelasteter, als sie es ohnehin schon zu sein glauben. Wenn man das unter Ankunft verstünde, so wäre das für Brauer kein positiver Wert.

Aber auch sonst ist Brauer nicht angekommen, zumindest nicht so, wie es Gregor Gysi und Lothar Bisky von seiner Partei in Münster erwartet hatten. „Natürlich mache ich auch Sachpolitik. Aber ich mache sie unter bestimmten Rahmenbedingungen. Und ich versuche immer wieder auch diese Rahmenbedingungen zu thematisieren oder die Spielräume zu erweitern.“ Auch mit dieser Haltung wäre Brauer vor fünf Jahren noch nicht angeeckt. Da stellt sich natürlich die Frage, wer sich mehr verändert hat: so genannte Konservative wie Wolfgang Brauer oder eine Partei, die Modernität mit Pragmatismus verwechselt und jene des Sektierertums bezichtigt, für die eine Regierungsbeteiligung an sich noch nicht das Nonplusultra sozialistischer Politik ist.

Doch Wolfgang Brauer hat ein Problem, und dieses teilt er mit all jenen, die nicht zu den Modernisierern seiner Partei zählen. Auch dieses Problem hat mit der Vergangenheit zu tun, mehr aber noch mit der Gegenwart. Es ist das Problem der Glaubwürdigkeit.

Wie zum Beispiel verhält sich die Partei, wenn sich in ihr ehemalige Täter und Opfer treffen? Welche Rolle spielen die aktuellen politischen Konflikte, wenn auf einer Versammlung eine ehemalige Lehrerin, die wegen zu viel Zivilcourage entlassen wurde, jener Person begegnet, die diese Entlassung zu verantworten hatte?

Wolfgang Brauer nennt solche Konflikte „Extremfälle“ und räsoniert darüber, wie schwierig es sei, wenn man diese noch zu Grundsatzkonflikten hochstilisieren würde. Vielleicht würde er sogar in diesem Fall von Kampfbegriffen reden. Für die Reformer dagegen sind diese Fälle der Grund, warum auch noch zehn Jahre nach der Wende ein Leitantrag nötig ist, auf dem Distanz zur SED und DDR gefordert wird.

Geht es um solche Themen, spricht auch Brauer lieber von der Gegenwart. Zum Beispiel davon, dass der Mensch immer das Maß aller Dinge sein solle und nicht das Geld. Glaubwürdig oder nicht?

Von den Modernisierern hörte man solche Worte jedenfalls schon lange nicht mehr.