: Schily will Thierse das Parlament wegnehmen
Innenminister will Zentrale für politische Bildung umkrempeln und Zeitung „Das Parlament“ einstellen. Bundestagspräsident ist empört
BERLIN taz/ap ■ Sie ist einmalig in der deutschen Presselandschaft. Die Wochenzeitung Das Parlament druckt alle Reden ab, die im Hohen Haus gehalten werden, und lässt auch den letzten Hinterbänkler zu Wort kommen – zuverlässig seit fast fünfzig Jahren. Jetzt soll damit Schluss sein. Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) will Das Parlament nicht länger bezahlen.
Das spröde Blatt kostet jährlich etwa sieben Millionen Mark und wird aus der Kasse der Bundeszentrale für politische Bildung finanziert. Diese untersteht dem Innenminister, und der schimpfte gestern: „Wirksamkeit und Mitteleinsatz stehen in keinem Verhältnis.“
Am liebsten würde Schily das Parlament sofort abschaffen – als Teil einer Reform der Bundeszentrale. Schily sieht deren Zukunft vor allem im Internet. Doch mit seinen Plänen inklusive Personalkürzungen stieß Schily gestern auf erbitterten Widerstand beim Kuratorium der Bundeszentrale – in einer „lebhaften Aussprache“, wie Schily sagte. Eine Entscheidung sei deshalb noch nicht gefallen. Einen Personalvorschlag für den Chefsessel der Bundeszentrale habe er noch nicht gemacht. Als Favorit gilt der ehemalige Berliner Senator Thomas Krüger (SPD). „Die Gespräche dauern an“, gab sich Schily zugeknöpft.
Schily ist nicht der erste, der das traditionsreiche Parlament für überflüssig hält. Auch seinem Vorgänger Manfred Kanther (CDU) wurde nachgesagt, dass er es am liebsten loswerden wollte. Doch daraus wurde nichts.
In der Parlaments-Redaktion ist man deshalb nach Schilys öffentlicher Morddrohung gelassen: „Wir kämpfen weiter und wahrscheinlich erfolgreich“, sagte Johannes Kuppe gestern. Der SPD-Vertreter unter den drei leitenden Redakteuren kommentierte Schilys Äußerungen zum übergroßen Aufwand für eine Zeitung, die nur noch wenige lesen, lakonisch: „Auch ein Minister kann mal was Falsches sagen.“ Kuppe kann sich so weit aus dem Fenster lehnen, weil er weiß, dass er wichtige Freunde hat.
Bundestagspräsident Thierse und seine Stellvertreter möchten das Parlament unbedingt erhalten. „Das hat das gesamte Präsidium bereits vor einigen Monaten klar gestellt, und daran hat sich nichts verändert“, versicherte Thierses Sprecher gestern gegenüber der taz.
Das Fortbestehen des Parlaments ist Thierse offenbar so wichtig, dass er es notfalls selbst bezahlen würde: „Eine Möglichkeit wäre vielleicht auch eine Übernahme durch den Bundestag.“ LKW
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