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Polnisches Allerlei am Alex

Kurz nach den „Berliner Tagen in Warschau“ fanden in Berlin die polnischen Kulturtage statt. Interessiert waren vor allem die in Berlin lebenden Polen

Mit der Institution des Nachbarn ist es in Polen bis heute so, wie es einst überall war: Man tut sich kleine Gefallen, wie ein Glas Zucker borgen, manchmal das Kind betreuen oder die Blumen gießen, wenn man in Urlaub fährt.

Hierzulande hat inzwischen die Nachbarschaft weitgehend an Bedeutung verloren. Besonders seitdem man Zucker an der Tankstelle zu jeder Tageszeit kaufen kann. Außerdem interessieren sich die Völker sowieso kaum für ihre Nachbarn.

Und das ist gut so. Jedes Interesse füreinander ging in der Vergangenheit viel zu weit über die Grenzen hinaus.

Was sich die Polen dabei gedacht haben, als sie am Alexanderplatz zum dritten Mal ihre Polnische Woche in Berlin mit Pauken, Trompeten, Dudelsäcken und hochkarätigen klassischen Konzerten veranstalteten, war leicht durchzuschauen: „Habt uns lieb, wir sind es wert“, schienen alle ach so offenen slawischen Gesichter mit einem breiten Lächeln schon nach dem ersten Bier auf den täglichen Empfängen sagen zu wollen.

Sogar Berlins Oberbürgermeister Eberhard Diepgen ist auf diesen Zug aufgesprungen. Nach seiner Mini-Fahradtour in Warschau in der vorletzten Woche verschwand er nach seiner Eröffnungsrede für die Polnischen Tage am Montag nicht gleich – wie gewöhnlich – im Roten Rathaus. Statt dessen amüsierte er sich noch einige Zeit lang mit den polnischen Freunden.

Die Polen haben es möglich gemacht: Knabenchöre, Vorträge, Filme, Disskusionen, Vorstellungen, Austellungen, Installationen, Konzerte – nebeneinander, nacheinander, voreinander, dicht, pausenlos, atemlos. Gut, schlecht, exzellent, ungenießbar: Es wurde nach Belieben serviert, getreu dem altpolnischen Sprichwort: „Czym chata bogata, tym rada“ – alles, was wir im Hause haben, bieten wir Euch an.

Wenn aber jemand den Geschmack der Polen nach diesem Allerlei beurteilen wollte, würde er in jedem Fall falsch liegen. Außer Durchschnittskost gab es auch wahre Delikatessen. Schade nur, dass alles in einem Topf geworfen wurde und dabei im Eine-Woche-Aktionismus die Filetstücke untergingen. Das betrifft auch den besten Film von Kazimierz Kutz, „Niemand ruft“ von 1960, der im kommunistischen Polen nicht gezeigt werden durfte. Jetzt haben ihn, ohne deutsche Untertitel, vielleicht zehn Leute gesehen. Die Blasmusik schien geeigneter und ausdruckvoller zu sein.

Die Vorstellungen der Polen davon, was den Berlinern an der polnischen Kultur am besten gefällt, treffen nicht immer zu. Das ist so, wie mit dem berühmten Nationalgericht Bigos, das auch nicht allen schmeckt, und ganz sicher nicht bei 30 Grad Hitze. Die Deutschen, auch wenn sie das Beste nicht gesehen haben, haben sich jedoch nicht beklagt und manche waren sogar vom Bigos begeistert. Sie wissen einfach wenig über ihre Nachbarn und begrüßen diese temporäre Osterweiterung.

Wer waren folglich die treuesten Besucher auf allen diesen Veranstaltungen, die bis gestern Abend andauerten?

Selbstverständlich die Berliner Polen, die auf ihre Heimatkultur, ihre Schlagersänger, Dirigenten, Maler, Weisen, last but not least ihre VIPs und außerdem – den Bemühungen des Botschafters zum Trotz – auf ihre leicht byzantinischen Zeremonien immer noch Appetit haben. Sie haben auch dieses Mal nicht versagt.

Auf sie kann sich das Polnische Kulturinstitut immer verlassen. Und sie werden immer wieder kommen.

Aber was ist mit den Nachbarn? Bekanntlich erschuf der liebe Gott die Welt in sieben Tagen. Das Resultat wäre sicher besser gewesen, wenn Er sich mehr Zeit dafür genommen hätte.

Die Polen wollten jetzt in sieben Tagen Berlin erobern. Die Resultate wären sicher viel besser, wenn sie sich mehr Zeit dafür nähmen. Eine gute Nachbarschaft ist wie eine Vernunftehe – sie braucht viel Zeit für Vorspiele.

JOANNA WIÓRKEWICZ

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