: Aus, Ende, Meisterschale!
Die Bayern gewinnen 3:1 gegen Werder Bremen, werden Deutscher Meister und zeigen sich dabei so überrascht, dass sie sogar Mitleid mit Leverkusens Daum haben – zumindest kurz
aus MünchenGERALD KLEFFMANN
Manchmal gibt es Geschichten im Leben, die könnte kein Filmregisseur dieser Welt besser inszenieren, nicht einmal Steven Spielberg, und wenn sie sich denn ereignen, mit all ihrer Spannung und Dramatik und Intensität, dann bleibt den betroffenen Menschen als Reaktion meist nur eine Antwort: Ich kann das gar nicht fassen! Zu überwältigend, zu überraschend, zu spontan scheint das Schicksal hereingebrochen, als dass es vernünftige Erklärungsversuche geben könnte, und so war nicht wirklich zu erwarten gewesen, dass auch nur ein Spieler des FC Bayern München nach dem Abpfiff beschreiben konnte, was da passiert ist, am Samstagnachmittag zwischen 15.30 Uhr und 17.15 Uhr.
Plötzlich war man Deutscher Meister. Einfach so. Der FC Bayern hatte Werder Bremen 3:1 besiegt, die SpVgg Unterhaching Bayer Leverkusen 2:0. Aus, Ende, Meisterschale. Wer hätte damit gerechnet. Die Bayern? Nein. Nicht wirklich. Höchstens gehofft. Ein bisschen. Drei Punkte Rückstand auf Leverkusen waren nicht aufzuholen, außer die örtlichen Nachbarn aus Unterhaching leisteten Schützenhilfe. Und so kam es, dass in den Tagen vor dem großen Finale einige beim FC Bayern ausdauernd wie Marathonläufer den Gedanken vom städtischen Zusammenhalt forcierten. Auf einmal war Unterhaching die „beste Mannschaft der Bundesliga“ (Stefan Effenberg), diverse Sponsoren sprachen Belohnungen wie Aktien oder Flugreisen im Erfolgsfall aus, und Uli Hoeneß versuchte die Unterhachinger gar mit Bratwürsten zu umschmeicheln. Den Rest würde man selber erledigen.
Der Manager des FC Bayern sollte Recht behalten. Nach 16 Minuten und drei Toren standen die Münchner früh als Gewinner fest und mussten lediglich einen „Nervenkrieg“ austragen, wie Thomas Strunz fand. Natürlich klingt das martialisch, aber es stimmte schon, dass eine außergewöhnliche Anspannung herrschte. Bei den Spielern, die sich immer wieder ungläubig nach dem Zwischenstand in Unterhaching erkundigten und trotz des Bremer Treffers durch Bode den Sieg ungefährdet über die Zeit spielten. Und bei den Zuschauern, die wie eine Richterskala jegliches Beben registrierten.
Ein explodierender Geysir
Zwei Minuten vor fünf – Oberleitner hatte gerade das zweite Unterhachinger Tor geköpfelt – drohte schließlich das Olympiastadion in sich zusammenzufallen. Wie ein Geysir, der explosionsartig aus der Erde schießt, entlud sich die Freude der Fans. Sie hüpften, schrien und tanzten, als sei Oktoberfest und Karneval an einem Tag, und kaum dass die Partie beendet war, taten es ihnen die Profis gleich. München im Ausnahmezustand. Oder, wie es Bürgermeister Christian Ude ausrief: „Die glücklichste Fußballstadt der Welt.“
Es mag viele Gründe geben, warum das Drehbuch für diese Saison kurzfristig umgeschrieben wurde. Die besseren Nerven, Schicksal, Beckenbauer. Alles war möglich. Den Bayern freilich war es egal, sie nahmen „dieses Geschenk“ (Trainer Ottmar Hitzfeld) und „Wunder“ (der Rest) gerne an, dankten unaufhörlich der SpVgg Unterhaching (Effenberg: „Ich ziehe den Hut“) und wollten das Ganze einfach als Ende der Leidenszeit verstanden wissen. Ein Leiden, das mit der Niederlage im Champions League-Finale gegen Manchester eingesetzt hatte und zum Trauma zu mutieren schien. Nun aber befand Oliver Kahn, dass sogar jener Moment in Barcelona etwas Gutes hatte. Man sei nämlich noch mehr eine Einheit geworden, und dass nun der FC Bayern mit dem Double – Pokal und Meisterschaft – im Glück taumelte, wäre schlicht verdient.
Bei aller Euphorie vergaßen die Bayern, allen voran Manager Uli Hoeneß, nicht, den Leverkusenern ihr Mitgefühl auszusprechen. Schadenfreude wollten sie öffentlich auf keinen Fall eingestehen, schließlich habe die Fußballgeschichte viel gelehrt, wie Hitzfeld meinte. Soll heißen: Beim nächsten Mal könnte es wieder anders ausgehen. Dann aber stieg Effenberg auf den Balkon des Münchner Rathauses, schnappte sich das Mikrofon und sang: „Viiiize, Viiizemeister Daum!“ Soviel zum Mitgefühl.
„Wrhbnsgschft!“
Anschließend gab es nur ein Motto für die Münchner: „Es muss gefeiert werden.“ Sprach Giovane Elber, und seine Kollegen gehorchten bereitwillig. Bier, Sekt, Champagner, alles floss wie aus einem Wasserhahn, und mit dem Alkoholkonsum stieg denn auch das Ausmaß der Humorigkeit. Zickler, mit glasigen Augen unterwegs, wollte den Bosnier Salihamidzic für Deutschland nominiert sehen, und zu später Stunde gab Torsten Fink in einer Münchner Szenedisko bekannt: „Wrhbnsgschft!“ Ahja.
Bayern München: Kahn – Babbel, Andersson, Linke, Lizarazu – Salihamidzic, Effenberg, Fink – Sergio, Jancker (44. Santa Cruz/49. Zickler/55. Strunz), Scholl Bremen: Rost - Tjikuzu, Eilts, Trares (38. Maximow), Barten – Herzog, Wicky, Frings (24. Dabrowski), Bode – Ailton (69. Bogdanovic), Pizarro Zuschauer: 63.000Tore: 1:0 Jancker (2.), 2:0 Jancker (12.), 3:0 Sergio (16.), 3:1 Bode (40.)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen