: Malen, bis der Feger kommt
■ Remigiusz Borda ist Maler, Musiker, Schamane und vor allem ein Star: Über 100.000 BesucherInnen sind in sein erst wenige Monate bestehendes Atelier geströmt. Ein Bild hat er allerdings bis heute noch nicht verkauft.
Die Blauen Reiter oder vielleicht doch Remigiusz Borda – wer will schon entscheiden, weshalb seit Wochen ohne Unterlass Menschen in die Kunsthalle strömen. Fest steht: An den bunten Bildern von Kandinsky & Co im Erdgeschoss der Kunsthalle haben sich seit März ebenso viele hundertausend Menschen vorbei gedrückt wie an den Bildern des deutsch-polnischen Malers Remigiusz Borda. Der hockt nämlich seit März tagtäglich von morgens bis abends in der ersten Etage der Kunsthalle und malt. Stundenlang, bis er mit dem letzten Besucher rausgefegt wird.
Genau genommen versucht Borda, inmitten des Besucherstroms ein Panzer zu sein. „Denn wenn man kein Panzer ist, kann man in diesem Trubel nicht konzentriert malen“, erzählt der 35-Jährige. Mit Panzern Bordascher Qualität würde man im Ernstfall aber nicht einmal in einen kleinen Nachbarschaftskonflikt siegreich am Gartenzaun triumphieren. Denn allzu oft rüstet der Maler im Angesicht der vorbeiströmenden KunsthallenbesucherInnen ab und verwickelt die Neugierigen in Gespräche.
Manche mutmaßen dann, der zwischen Leinwänden und Farbtöpfen sitzende Borda sei Museumswärter. Andere erfragen mit gequälten Blick den kürzesten Weg zum WC. Wieder andere philosophieren nach nur wenigen Sätzen bereits frei von der Leber über Gott und die Welt, korrigieren Bordas Malkünste oder geben sich selbst leicht errötend als heimliche Maler zu erkennen. Auf diese Weise plaudert Borda den lieben langen Tag, was sein ziemlich geübtes Mundwerk nur hergibt. Was für einen Künstler, der im abgeschiedenen Atelier nach schöpferischer Ruhe sucht, einem Alptraum gleicht, ist für Borda hingegen die Erfüllung seiner künstlerischen Visionen – das „Atelier Mobile“.
„Wo die Menschen sind, da bin ich auch“, erklärt Borda sein simples Prinzip. Und da die Menschen zum Leidwesen des Künstlers nicht in seinem Atelier, sondern in Kirchen und Kunsthallen herumlaufen, hat Borda den Arbeitsplatz kurzerhand an genau diese Orte verlegt. Das erste „Atelier Mobile“ schlug er für einige Monate neben dem Altar der Friedenskirche auf. Nach seinem Gastspiel in der Kunsthalle will Borda sein Atelier unter offenem Himmel in einer Viertel-Seitenstraße und in den Wallanlagen aufbauen.
Anstelle der 30 BesucherInnen, die sich sonst auf Bordas Vernissagen verloren – „davon waren 20 auch noch meine Bekannten“ – erreicht er mit seinen Bildern nun die Massen. Das gefällt Borda, der sich selbst unbescheidenen als „eine Art Schamanen für die Gesellschaft“ bezeichnet. Im malerischen und verbalen Dauereinsatz kultiviert er nun das Volk und versucht es durch seine Expressivität mit der Welt der Kunst zu versöhnen. Der selbst ernannte Schamane, der auch als Fotograf und Musiker unterwegs ist, betrachtet das mobile Atelier daher als „soziales Projekt, denn ich habe die Fähigkeit, Bilder zu malen, die die Menschen bewegen“. Zugleich, berichtet Borda, freut es die derart Bewegten, sehen zu können, „wie ein richtiger Künstler eigentlich arbeitet“, dass auch ihm mancher Strich daneben geht und dass man einen räumlichen Effekt mit dem gezielten Einsatz von Maltechniken erzeugen kann. Trotz hautnaher Einblicke in den Entstehungsprozess wollte bislang aber niemand das Endprodukt erwerben: Verkauft hat Borda bislang noch keines seiner im „Atelier Mobile“ gemalten Bilder.
Zurzeit bewegt der Absolvent der Bremer Hochschule für Künste die Menschen mit Gemälden, auf denen Männer und Frauen zu erkennen sind, die unter einer feinen Holzfurnierschicht eine eigentümliche Symbiose mit Schränken, Betten und anderem Mobiliar eingegangen sind. Dafür handelt Borda sich so manchen anerkennenden Brief, aber auch Bemerkungen wie „Sind Sie Picasso?“, „Interessant“ oder „Entschuldigung, wird hier renoviert? Es riecht hier so“ ein. Aber Borda verzagt nicht: Auch tiefsinnige Gespräche fangen immer klein an. zott
Bis Ende Mai ist Borda in der Kunsthalle zu sehen. Am 25. Juni eröffnet eine Ausstellung mit seinen Arbeiten in der Galerie Reinfeld.
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