„Willkürliche Gewalt“

■ Verletzter Schüler: Polizei verdächtigt Kollegen als Täter

Die Innenrevision der Polizei legt der Staatsanwaltschaft nahe, gegen mindestens vier Polizisten Anklage zu erheben. In der Silvesternacht soll der 21-jährige Schüler Tim Koehne von mehreren Polizisten übel zugerichtet worden sein. Die Innenrevision hat nun ihre Ermittlung abgeschlossen und einen 36 Seiten starken Bericht erstellt: Danach ist Tims damalige Schilderung der Ereignisse glaubwürdig. Nachdem taz und BILD Ende Januar von dem Fall berichtet hatten, sprach der Polizeipräsident von „tendenziöser Berichterstattung“, die Gewerkschaft der Polizei (GdP) von „Schmierenjournalismus“. Die GdP legte in einem offenen Brief den Schluss nahe, Tim habe für seine Aussagen Geld von der BILD-Zeitung bekommen. Die CDU warnte davor, die Polizei während eines laufenden Verfahrens „vorzuverurteilen“.

Tim war in der Silvesternacht auf dem Domshof mit anderen Jugendlichen in Streit geraten. Die Polizei griff ein und verfrachtete ihn in einen Streifenwagen. Über den weiteren Verlauf des Abends gibt es unterschiedliche Versionen. Tim berichtete von schweren Misshandlungen auf der Wache; einige Polizisten aber behaupteten, Tim habe sich die Verletzungen schon auf dem Domshof und als Folge seines Widerstandes zugezogen.

„Es ist gesichert davon auszugehen, dass Tim K. nahezu unverletzt vom Domshof abgeführt und an der Wache Sandstraße mit Blut im Nasenbereich vorgeführt wurde“, heißt es jetzt in dem Bericht. „Ohne Not“ habe der Polizeibeamte E. ihm auf der Wache einen Faustschlag gegen den Hüftbereich versetzt, der ein „kinderfaustgroßes Hämatom“ verursachte. Tim berichtete von weiteren Faustschlägen ins Gesicht und davon, dass er das Bewussstsein verloren habe.

Später wurde Tim in die Polizeiwache im Polizeihaus verlegt, ein Arzt wurde zugezogen. Auf Grund von Zeugenaussagen ist für die Polizei-Innenrevision jetzt klar: „Die Tatsache, dass Beamte gegenüber Herrn Dr. R. vor der ersten Blutentnahme darstellten, Tim K. habe die Verletzungen schon gehabt, als er vom Dom weggeholt wurde, ist somit falsch. Diese Darstellung lässt den Verdacht begründet erscheinen, dass die an den Maßnahmen beteiligten Beamten von einer eigenen Verantwortlichkeit hinsichtlich der Entstehung von Verletzungen ablenken wollten.“

Bei Tim wurden später Würgemale am Hals, Blutergüsse, ein geplatztes Trommelfell, einen Haarriss im Wangenknochen und eine Schädelfraktur diagnostiziert. Nicht alle Verletzungen ließen sich als Gegenmaßnahmen gegen den Widerstand von Tim erklären. „Es ist der Verdacht begründet, dass im Verlauf der Maßnahme und hier insbesonders des Transports sowie des Aufenthalts dort bis zum Eintreffen von Doktor R. Übermaß beziehungsweise sogar die von Tim K. beschriebene willkürliche Gewalt durch Beamte gegeben war.

Die Staatsanwaltschaft bestätigte gestern, dass der Bericht seit April vorliegt. Vor der Entscheidung, ob Anklage erhoben wird, solle allen Beschuldigten – von einem Dutzend Beamten ist die Rede – Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden. Dies könne noch mindestens einen Monat dauern.

Die Polizei hielt sich gestern bedeckt. „Zu laufenden Verfahren äußern wir uns nicht“, erklärte ein Polizeisprecher, die Staatsanwaltschaft entscheide über das weitere Vorgehen. Für den Landesvorsitzenden der GdP, Dieter Oelschläger, ist weniger der Fall Tim Koehne ein „Skandal“, sondern mehr, dass nun die Ermittlungsakten der Innenrevision in der Presse zitiert werden. cd