Schöner pimpeln

Stephan Lohse inszeniert „Zwillingsbrut“ von Nicky Silver im V.E.K.K.S. auf dem Cityback-Gelände als Revuetheater

Am Anfang sind Bruder und Schwester zerstritten, am Ende ein Herz und eine Seele. Das Wunder bewirkte ein Baby, das die Schwester geboren hat, der Bruder aber umhegt und umsorgt, als wäre es sein eigenes. Um die an sich fade Versöhnungsparabel dramatisch aufzupeppen, hat Nicky Silver sein „Zwillingsbrut“ à la Allen gewürzt. Heißt, dass die Figuren des Stückes durch die Bank weg einen Schuss haben, die Psychologin Hillary zuallererst. Freilich gibt dies zum Verdacht Anlass, der Amerikaner hätte seine Familienkomödie als Parodie der modernen, europastämmigen, aber in Amerika zu modischem Gepränge gelangten Seelenkunde gedacht.

Nun hat „Zwillingsbrut“ im V.E.K.K.S. seine Berliner Uraufführung erlebt. V.E.K.K.S. ist das Akronym für „Verein zur Erweiterung des künstlerischen und kulturellen Spektrums“, von Krystof Hybl und Christian Schulz zu dem Zweck gegründet, Theater, Film und Klubkultur auf einen zumindest örtlichen gemeinsamen Nenner zu bringen. Der gewählte Ort ist eine 400 Quadratmeter große Halle des als „Cityback“ bekannten ehemaligen Backwarenkombinats in der Saarbrücker Straße.

Hier stehen Uraufführungen jünger Dramatik, Filmabende und Sprechperformances mit DJ auf dem Plan, und derzeit wird „Zwillingsbrut“ in der Regie von Stephan Lohse gespielt. Lohse höchstversönlich verleiht Sebastian, Zwilling Nummer eins, die wunderbar weichen und stets zusammengezogenen Knie des Altverklemmten, denen mädchenhaft gespreizte Waden und verlorener Blick entsprechen. Seine Regie setzt konsequent auf die Fertigkeit der Schauspieler, selbst den verquersten Kalauer mimisch und gestisch glaubhaft zu machen. Bernardette schmeichelt Bruder Sebastian bei der Beerdigung der Mutter, die einem von der Wand herausschießenden Duschkopfs erlegen ist, mit gütestrahlendem Backfischlächeln. Doch dann wechselt Monique Schwitter prompt zum aufgekratzten Vollweib, das das Erbe ganz für sich verlangt und obendrein froh ist, wenn Sebastian seine Niederlagen eingesteht.

Niederlagen? Schuld daran ist ein Artikel in der Vanity Fair, den alle gut finden, obwohl sie ihn nicht vestehen, von einem zerrütteten Bankkonto und vor allem von der fortgeschrittenen Vereinsamung des klischeestimmig aus der Bahn geratenen schwulen Intellektuellen. Sebastian vermisst einen an Aids verstorbenen Freund und besucht regelmäßig eine Psychologin, die aber zur Umkehrung aller Lehrsätze sich in ihren Pflegling verliebt hat. Ein Katzenjammer, als er ankündigt, die Therapie abbrechen zu wollen. Doktor Hillary Macmahon, die noch geschäftlich „Ich liebe dich“ sagen konnte, erleidet einen Nervenzusammenbruch, pimpelt und katzbuckelt derart, dass sie den Angebeteten definitiv vergrault. Und so geht es weiter. Die Inszenierung, die mit einem Minimum an Requisiten und gar ohne Bühnenbild auskommt, ist komisch. Manchmal wirkt „Zwillingsbrut“ wie eine Revue: wenn sie an Sebastians morbider Lovestory mit Häftling Dylan (Markus Sieber), am schrulligen Ehelügendesaster von Bernadette und dem zum Maler neu geborenen Zahnarzt Kip (Andreas Stadler) bis zum Happy-End entlangtänzelt. Aber an so eine Art von Revue könnte man sich gewöhnen.

Morgen und übermorgen, jeweils 20 Uhr, V.E.K.K.S./Cityback-Gelände, Saarbrücker Straße 36–38