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Ein Traum in Schwermetall

■ Der Late-Night-Talker Harald Schmidt beschwor kürzlich die Rückkehr von Gefühl und Pathos. Ronnie James Dio hat beides und verzauberte das Publikum im Aladin

Ich kann mich noch gut an mein mulmiges Gefühl erinnern, als ich die „Holy Diver“-LP das erste Mal in den Händen hielt. Damals ging ich noch brav zum katholischen Religionsunterricht. Das Cover zeigte einen Priester in Ketten, der gerade im Wasser versenkt wird. Das war etwas Verbotenes, etwas Böses. Aber die Musik war so großartig, dass ich nicht anders konnte, als sie zu lieben. Ein Gewissenskonflikt. Die Wendung, die Ronnie James Dio dreizehn Jahre später in dem ausschließlich für den japanischen Markt bestimmten Bonus-Track „God hates Heavy Metal“ der LP „Angry Machines“ vollzog, war mir damals nicht möglich: Von „God hates Heavy Metal, so I know HE hates me“ zu „God is Heavy Metal, so I know HE must need me“. So blieben meine Gefühle für „Dio“ lange Zeit zwiespältig.

Die Fans, die mit Religionsunterricht eh nichts am Hut hatten, bemühten sich indes, an der Legende vom Satansanbeter Dio weiterzubasteln. Die Texte sträubten sich gegen solch eindimensionale Interpretationen – sie handeln von Sinnsuche, üben Gesellschaftskritik oder sind Phantasiereisen in mystische Welten – also musste man anderweitig fündig werden. Der Schriftzug der Band ergebe – auf den Kopf gestellt – das Wort „Devil“. Alle Platten wurden rückwärts gehört, auf der Suche nach satanischen „Backward Maskings“.

Doch nun zum Konzert, siebzehn Jahre nach dem Erstling „Holy Diver“. Das aus zwei Bands bestehende Vorprogramm wird von den Bremer Lokalgrößen „Unrest“ eröffnet. Das ist zwar stumpfes Gekloppe, das sämtliche Heavy Metal-Klischees bedient, aber die Jungs sind mit so viel Enthusiasmus und Spaß bei der Sache, dass sich mein Herz weitet, um auch die zum dreitausendsten Mal gehörten Riffs in es aufzunehmen. Danach sind „Sinner“ dran, ebenfalls eine deutsche Band, ebenfalls Reproduzent von abgenudelten Klischees. Einer der Gitarristen wischt an seiner Klampfe herum, dass einem ganz übel wird. Lyrics aus dem „Metal Song Construction Kit“: „Fire“, „Hell“, „Night“, „Evil“, fertich is die Laube. Aber auch hier: Spielfreude, Spaß in die Backen. Und die zum Abschluss vorgetragene Coverversion des Billy Idol-Hits „Rebel Yell“ ist ein Traum in Schwermetall. Böse kann man denen nicht sein.

Die Umbauarbeiten für „Dio“ folgen. Das zusammengewürfelte Equipment von „Unrest“ und „Sinner“ wird durch einheitliche Wände von Hughes&Kettner-Amps ersetzt. Wie wichtig ein Metal-Gitarrist ist, überlege ich mir, läßt sich an der Anzahl der Plecs ablesen, die am Mikroständer kleben: Bei Craig Goldy von „Dio“ sind es mindestens zwölf (vgl. „Sinner“: fünf). Dann ertönt endlich das sphärische Intro von „Sunset Superman“ vom '87er Album „Dream Evil“. Ronnie kommt. Eigentlich hatte ich vorgehabt, in diesem Text über seinen achtzigsten Geburtstag zu witzeln. Immerhin ist er schon seit 1957 im Musikgeschäft. Aber nix ist mit Opa: Er wirkt frisch und energetisch. Und entspannt ist er. Sein Vortrag hat nichts Gewolltes, Verkrampftes. Man nimmt ihm sein Gefühl ab, er ist echt. Immer wieder fordert er eines seiner Bandmitglieder spontan zum Solospiel auf, indem er ihnen mit einer Geste bedeutet: Jetzt hast du Raum. Im Falle von Drummer Simon Wright musste das nicht unbedingt sein, aber die Soli von Gitarrengott Craig Goldy (in einer Liga mit Yngwie Malmsteen oder Vinnie Moore) ließ ich mir gefallen.

Sie spielten alles, was ich hören wollte. „All The Fools Sailed Away“, „Holy Diver“, „The Mob Rules“, „Rainbow In The Dark“, „Invisible“, „The Man On The Silver Mountain“. Es war phantastisch, RJD zuzuschauen. Eine geradezu magische Aura geht von ihm aus. Es ist schwer zu beschreiben. Da steht ein kleiner, dünner, gealterter Mann in einem lilafarbenen, weitärmeligen Samthemd auf der Bühne, mit einer weichen, femininen Gestik und einer gewaltigen Stimme, von der man kaum glauben kann, dass sie in diesem schmächtigen Brustkorb wohnt. Er ist in der Musik, es ist seine Musik. Er macht endlich genau das, was er immer schon wollte. Bei „Rainbow“ bekam er zu hören, dass er doch gefälligst Lovesongs zu schreiben habe und keine Phantasiegeschichten über Hexen, Zauberer und mittelalterliche Dämonen. Bei „Black Sabbath“ stand er unter der Knute von Tony Iommi und blieb für viele nur der ewige Ersatzmann für Ozzy Osbourne. Wie ein später Stinkefinger mutet da der Titel „As Long As It's Not About Love“ auf der aktuellen LP „Magica“ an. Die Kritiker sind sich einig: „Magica“ sei das beste „Dio“-Album seit „Holy Diver“ (1983), eine Rückkehr zu den Wurzeln. Kein stromlinienförmiger Metal mehr, keine Songs, die lediglich als Lückenfüller fungieren, wie auf einigen Scheiben der späten Achtziger – sondern weitausholende, sperrige Arrangements, bombastisch, monumental und pathetisch. Das Titelstück „Magica“, ein achtzehnminütiges Epos, gehörte auch zum Programm. Ich dachte: „Ja! Ja! Genau das! Mach es!“ Und er machte es. Harald Schmidt (gelangweilt von seinem eigenen Klamauk?) prophezeite jüngst die Rückkehr von Gefühl und Pathos. There you have it, Harald! Tim Ingold

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