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„In Bonn lag der Hund tot über dem Zaun“

Die rheinischen Single-Frohnaturen fühlen sich im „prallen Berliner Leben“ wohl und nutzen die Mittagspause für kleine Ausflüge an den Gendarmenmarkt. Die Neuberliner um die fünfzig leiden dagegen an Vereinsamung: „Ich fange schon an, mit den Omis in der S-Bahn zu reden“von ANNETTE ROLLMANN

Der Referent des Bundespresseamtes in weißen Jeans und hellem Freizeithemd provoziert gerne. Mal eine Bemerkung über die Hundescheiße in Berlin, die man „förmlich riechen“ könne, oder über die Kodderschnauze der Leute, die man ständig höre. Dann hebt der Beamte den Bierkrug, nimmt einen Schluck und sagt: „Schreiben Sie mal: Das Beste an Berlin ist, wenn man wieder wegfliegen darf.“ Dabei schaut der Mann, geschieden und schon in die Jahre gekommen, gar nicht so entnervt in das Grün des Berliner Tiergartens hinein. Ihm gegenüber sitzen mehrere junge Frauen „aus dem Klüngel“.

Im Café am Neuen See, „zentral gelegen und so lauschig wie die Biergärten in Bonn“, hat er sich zusammen mit einem guten Dutzend Neuberlinern getroffen. Die Runde aus Abgeordnetenmitarbeitern, Referenten, Jungakteuren aus der Wirtschaft und dem Lobbyismus hat es vor einem Dreivierteljahr nach Berlin „verschlagen“. Aber so richtig schlimm findet das in der Runde im „Cans“, wie sie intern das Café nennen, niemand mehr. Man kennt sich kaum und versteht sich prächtig.

Denn bei den „jungen“ Bonnern unter vierzig ist in Berlin angesagt, was im Bonner Regierungsviertel mitten in der Hochburg rheinischen Frohsinns nicht zur Attitüde gehörte: Flirt bei markigen Sprüchen in lauter Fröhlichkeit.

Am Rhein pflegten die Ministerialdirigenten und wissenschaftlichen Mitarbeiter vornehmlich den Stil freundlicher Biederkeit. Allenfalls gezügelte Heiterkeit war im beruflichen Umfeld auf Empfängen erlaubt. „In Bonn war doch jede Stubenfliege verbeamtet“, sagt eine aus dem „Klüngel“.

Die Neuberliner, die wegen des Regierungsumzugs nach Berlin gegangen sind, sind oftmals Singles und müssen sich einen neuen Freundeskreis aufbauen. In der weitläufigen Hauptstadt treffen sie sich nun regelmäßig, um den rheinische Klüngel zu pflegen, den es am Rhein so nie gab. Es wird geflirtet, miteinander getrunken und getanzt. „Manchmal erleichtert das die Arbeit wesentlich, weil man Leute aus anderen Bereichen kennen lernt und bei einem Problem auch schon mal eher zum Telefon greift“, erzählt eine CDU-Mitarbeiterin.

„Na, du bist ja süß. Kommst du denn morgen zum Meck-Pomm-Fest?“, schallt es angeheitert über den Biertisch. Die Angesprochene aus der Wirtschaft, in weißer Bluse mit frischem Nickituch, lacht.

Szenenwechsel. Beim Frühjahrsfest im Hinterhof der Mecklenburgischen Landesvertretung wird von einigen deutsche Geschichte gesichtet. Dort, wo noch vor einem guten Jahrzehnt im Nebenhaus die Stasi das Treiben der eigenen Genossen durch verspiegelte Fensterscheiben beobachtete, steht jetzt die Bundesrepublik mit dem Sektglas in der Hand. „Ist das nicht der Wahnsinn? Jetzt sind wir hier“, sagt eine CDU-Referentin und blickt ehrfürchtig-aufgeregt zu den „Original-Fenstern“ hoch. Dann nippt sie wieder am Erdbeersekt, und ihr Blick fällt in die Menschenmenge. Ein paar neue Gesichter? „Ja, sicher. Aber nicht wirklich.“

„In Bonn ist man sich zwar im Regierungsviertel ständig über den Weg gelaufen, aber man hätte sich ja nie angesprochen“, sagt Katja Fischer (31), Referentin des Parteispenden-Ausschussvorsitzenden Volker Neumann (SPD). Hier seien alle „viel offener“. Berliner allerdings kenne sie kaum. Leider.

Der umtriebige Jobst Hubbe, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Büro des Abgeordneten Peter Kurt Würzbach (CDU), bringt die Bonner Runde über E-Mail-Rundbriefe zusammen. Der Partymaker, der „überall“ und deshalb für manchen auch schon wieder „out“ ist, organisiert den Bonnern die abendlichen Stunden. Mal trifft man sich zur After-Work-Party im etablierten Schick des Oxymoron in den Hackeschen Höfen, fährt gemeinsam auf der Blade Night oder gibt sich am NRW-Wahlabend auf den Wahlpartys von CDU und SPD ganz unpolitisch. „Schade, dass wir bis März 2001 keine Wahlparty mehr besuchen können“, sagt Hubbe.

Hubbe geht in Sachen Veranstaltungen allerdings nie leer aus. Nach der NRW-Wahl wechselt er tags drauf ins Sportfach und golft am Wannsee um den Pokal des Deutschen Bundestages unter der Schirmherrschaft von Bundestagsvizepräsident Rudolf Seiters. Hubbe belegt zwar nur den 25. Platz. Doch das Wichtigste: „Das war eine hochkarätige Veranstaltung und ich habe wieder viele Leute kennen gelernt.“

Rheinische Single-Frohnaturen fühlen sich in Preußens Gloria wohl und nutzen auch die Mittagsstunde für kleine Ausflüge – gerne an den Gendarmenmarkt. „Da sind wir im prallen Berliner Leben“, sagt ein wissenschaftlicher Mitarbeiter eines CDU-Abgeordneten, der sich in seinem Habitus noch ganz den Bonner Maßstäben verpflichtet fühlt. Nach langen Geschichten über Pendeln „und wie das an den Nerven zerrt“, bringt er Bonn und Berlin dann doch für sich auf den Punkt: „In Bonn lag doch der Hund tot über dem Zaun.“

Viele der jungen Bonner wohnen im ehemaligen Ostteil der Stadt. „Schon in Bonn ist Prenzlauer Berg als Tipp gehandelt worden“, sagt Katja Fischer. Westberlin kennen die jungen Bonner kaum. Der Savignyplatz in Charlottenburg, die schicke Ausgehmeile des Westens, ist für die Neuberliner unerforschtes Kneipenterrain. Das sei für viele zu dezentral gelegen.

Weniger ausgeglichen ist die Stimmung bei vielen Ex-Bonnern um die fünfzig. Viele in dieser Altersgruppe pendeln zwischen der alten Heimat und dem neuen Heim hin und her und führen ein zerrissenes Leben. „Meine Familie ist dort, und wir haben ein Haus. Was soll ich machen?“, erzählt ein Abteilungsleiter kurz vor der Pensionsgrenze. „Meine Bekanntenkreis und meine Nachbarn in Bonn kennne ich schließlich schon seit dreißig Jahren.“

Zu Zeiten des Kalten Kriegs gab es für einsame Sekretärinnen in Bonn Liebesgrüße aus Moskau. Heutzutage grüßen sie die „Leute im Supermarkt“, sagt eine Frau jenseits der fünfzig mit gedrücketer Stimme über ihr neues Leben in Berlin. Die Stadt an sich sei schön, aber sie kenne kaum jemanden. „Ich fange schon an, mit den alten Omis in der S-Bahn zu reden.“ Andere suchen sich „mühselig kulturelle Veranstaltungen“, damit sie wenigstens von „Berlin als Stadt“ etwas haben.

Viele der älteren Herren gehen in die Ständige Vertretung, die „Stäv“. Die bierseligen Altherrenrunden fühlen sich in der Kölschkneipe am Schiffbauerdamm „wie zu Hause“. Nur der Faktor Aufregung bleibt allen Neuberlinern. „Das ist schon ganz anders als in Bonn. Wenn ich in Schöneberg von meiner Wohnung auf die Straße gucke, dann gibt es dort Ausländer und Punker.“

Zitate:

„Schreiben Sie doch mal: Das Beste an Berlin ist, wenn man am Wochenende wieder wegfliegen darf.“„Das ist schon anders als in Bonn. Wenn ich aus meinem Fenster gucke, dann gibt es dort Ausländer und Punker.“

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