Unpraktikables Abstimmungsrecht

betr.: „Vertane Chance“ (Italien: Referendum zur Wahlrechtsreform), taz vom 23. 5. 00

[...] Nicht die Regierung ist gescheitert, sondern die Italiener sind Opfer ihrer eigenen Abstimmungsregeln geworden.

Zweimal haben die Italiener über ein neues Wahlrecht abgestimmt, zweimal haben sie mit überwältigenden Mehrheiten von über 90 beziehungsweise 80 Prozent den Änderungen zugestimmt. Trotzdem bleibt alles beim Alten, weil ein unpraktikables Abstimmungsrecht mit einer Mindestbeteiligungsquote von 50 Prozent die Gegner der Referenden dazu einlud, sich der inhaltlichen Auseinandersetzung zu entziehen und die Abstimmungen durch Boykott scheitern zu lassen. Dabei lag die Beteiligung mit fast 50 Prozent bei der ersten und nun noch 32 Prozent bei der zweiten Abstimmung im Vergleich mit anderen Ländern absolut im Rahmen des Üblichen. Weil es bei Abstimmungen im Unterschied zu Wahlen nie „ums Ganze“, sondern immer nur um Teilfragen der Politik geht, liegt die Beteiligung naturgemäß meist niedriger. Wer die Abstimmung in Italien nun deshalb so interpretiert, dass die Italiener sich nicht für das Wahlrecht interessierten, liegt falsch.

Für Wahlen wie für Abstimmungen sollte gelten: Mehrheit entscheidet. Beteiligungsquoren fördern Boykottstrategien und zerstören den inhaltlichen Diskurs über Sachfragen. [...]

THORSTEN STERK, Köln