: Polens Koalition vor dem Zerfall
Am Wochenende entscheidet die liberale Freiheitsunion (UW), ob sie die Koalition mit der Solidarnosc-Nachfolgepartei AWS beendet. Sie hat vom eigenwilligen Regierungsstil des AWS-Ministerpräsidenten Jerzy Buzek die Nase voll. Der freut sich schon
aus Warschau GABRIELE LESSER
„In einer Demokratie ist es normal, dass nicht nur Minister kommen und gehen, sondern auch Ministerpräsidenten.“ Die Augen des polnischen Ministerpräsidenten Jerzy Buzek leuchteten, als er dies sagte. Er wirkte fast glücklich, schon bald eine schwere Last loszuwerden. Zwar einigten sich am Donnerstag die völlig zerstrittenen Koalitionspartner der „Wahlaktion Solidarność“ (AWS) und der Freiheitsunion (UW) noch nicht formal auf die Ablösung des Ministerpräsidenten, doch – das ist allen klar – ohne den Rücktritt Jerzy Buzeks wird die polnische Regierung den Sonntag nicht überstehen. Der Parteirat des kleineren Koalitionspartners UW soll morgen entscheiden, ob es noch eine Grundlage gibt zur weiteren Zusammenarbeit mit der Partei des Ministerpräsidenten.
Für beide Parteien steht mehr als die Machtfrage auf dem Spiel. Der größte Reformstaat Mitteleuropas muss nun sein demokratisches Selbstverständnis neu definieren. Buzek macht jeden programmatischen Streit in der Koalition zu einer Personaldebatte und sieht das Stühlerücken von Ministern, Staatssekretären und Direktoren von Staatsunternehmen als seine eigentliche Aufgabe an. Die von der UW immer wieder eingeforderte Richtlinienkompetenz des Ministerpräsidenten übt nicht Buzek aus, sondern der im Hintergrund die Fäden ziehende Marian Krzaklewski, Nachfolger Lech Wałęsas auf dem Chefsessel der Gewerkschaft Solidarność und Vorsitzender der AWS.
Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, war die „Lösung“ eines Koalitionsstreits in einer der 16 Gemeinden Warschaus durch die Einsetzung eines umstrittenen kommissarischen Verwalters durch Buzek. Als in der Hauptstadtgemeinde Warschau-Zentrum die Koalition aus AWS und UW auseinander brach, weil einige AWS-Stadträte sich von der AWS abgespalten hatten und die Partei daraufhin die Ratssitzungen blockierte, empfahl der Warschauer Wojewode (AWS) dem Innenminister (AWS) und dieser dem Ministerpräsidenten (ebenfalls AWS), einen kommissarischen Verwalter in Warschau-Zentrum einzusetzen. Obwohl alle juristischen Berater Jerzy Buzeks vor einem solchen Schritt warnten, ernannte Jerzy Buzek mit Andrzej Hermann einen Verwalter, der dem rechtsradikalen Flügel der AWS nahe steht.
Der 34-jährige Jurist schreibt regelmäßig für die rechtsradikal-antisemitische Postille Nasza Polska – „Unser Polen“ – und ist davon überzeugt, dass Polen in der EU vor allem Gefahr aus Deutschland droht. Dass ausgerechnet dieser Mann per Verfügung des Ministerpräsidenten an der Spitze der reichsten Gemeinde Warschaus stehen soll, war für die UW zu viel. Finanzminister Leszek Balcerowicz (UW) sprach von „Amtsmissbrauch an oberster Stelle“.
Nun findet das Koalitionszerwürfnis in der Hauptstadtgemeinde ein genaues Spiegelbild auf Regierungsebene. Auch hier hat sich eine Gruppe von 29 Abgeordneten von der AWS abgespalten und stimmt regelmäßig gegen die Regierungsvorlagen. So ist vor zwei Wochen ein wichtiges Gesetz zur Reform der Landwirtschaft gescheitert, das notwendig ist, um die Aufnahmebedingungen der EU zu erfüllen. Ähnlich ist es der Regierung schon mit vier anderen Gesetzen ergangen.
Sollte der Parteirat der UW morgen entscheiden, die UW-Minister aus der Regierung zurückzuziehen – es sind dies Finanzminister Leszek Balcerowicz, Außenminister Bronisław Geremek, Verteidigungsminister Janusz Onyszkiewicz, Justizministerin Hanna Suchocka und Verkehrsminister Tadeusz Syryjczyk –, wird eine Minderheitsregierung entstehen, der keine allzu lange Lebensdauer prognostiziert wird.
Doch vorgezogene Neuwahlen im Herbst würden vermutlich zu einem Machtwechsel in Warschau führen. Daran aber kann der AWS nicht gelegen sein. Nach Umfragen sind die Polen mit der derzeitigen Regierung so unzufrieden wie noch mit keiner anderen zuvor. Sie würden eine Regierunskoaltion aus UW und den Postkommunisten der SLD bevorzugen.
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