Gelinkte Fiction

Dieser Autor ist drin! Der Schriftsteller Thomas Findeiß lädt ein zum Schreiben im Internet: Denk dir was aus, schreib es hin, schick es ab!

taz: Sie haben jeden, der mag, dazu aufgefordert, an Ihrem neuen Roman „Eclipse“ mitzuschreiben. Wie kann ich mitmachen? Kostet das Geld?

Thomas Findeiß: Nein – aber was Sie brauchen ist Unmittelbarkeit, Inspiration und die Lust, sich selber als eine Romanfigur schreiben zu können. Das mit dem Geld sollten wir vielleicht wieder einführen – ganz am Anfang hatten wir mal die Idee, dass man symbolisch einen Euro überweisen sollte. Nein, aber im Ernst: Es gibt einen Link mit einer Mailadresse auf der Seite www.realfiction.de. Dort kann man hineinschreiben, was man will, und es abschicken.

Was reizt an dieser Form des Romanschreibens?

Ich hoffe, dass durch kontinuierliche Zusendungen so etwas wie ein literarischer Sprechgesang entstehen kann, womit ich nicht Rap oder dergleichen meine. Die Idee ist, Material zu sammeln und es dramaturgisch aufzubereiten und zu montieren wie die Szenen eines Films. Also nicht einfach nur aneinander zu kleben und ein Patchwork entstehen zu lassen, das nach allen Seiten ausufert, jeden überfordert und niemanden interessiert, sondern aus der fortlaufenden Vernetzung realer Fiktion die Matrix für ein literarisches Werk entstehen zu lassen.

Funktioniert es denn?

Ja – und es gibt da jemanden, der ganz erstaunliche Beiträge liefert. Aber das Projekt läuft erst an.

Wer macht bei „Eclipse“ mit: Freaks, Fans, Germanistikstudenten?

Ich hoffe, geistvolle Leute. Es kommt natürlich auch darauf an, über welche Links jemand auf realfiction.de stößt. Über die normalen Suchfunktionen und Suchmaschinen des Internet wird wohl wenig laufen, weil man sich da als Anbieter einkaufen muss, und es kostet viel Geld, in der Hierarchie der Suchbegriffe weit oben zu stehen. Ich dachte am Anfang, dass man Worte wie „Hitler“, „Kokain“ oder „Kindersex“ voranstellt und die Suchmaschinen darauf anspringen. Aber die Leute, die danach suchen, sind in der Regel weniger produktiv. Obwohl ich auch nichts gegen einen pornografischen Roman hätte. Es ist eben alles in allem ein spannendes Experiment.

Wird es auf alle Fälle den Internet-Roman geben, egal, wie viele Leute mitmachen?

Ich mag das Wort Internet-Roman nicht, das ist etwas unglaublich Primitives. Aber wenn zwei Menschen, die sich nicht persönlich kennen, angeregt E-Mails austauschen oder miteinander chatten – und nicht merken, dass sie real nebeneinander an zwei Computern sitzen, dann ist das schon eine besondere Form von Kommunikation, in der jemand zu einer stärkeren Subjektivität auflaufen kann, als er es sich in einem Gespräch gestatten würde. Und darauf kommt es an. Niemand kann wiederholen, was Andy Warhol machte oder Rainald Goetz. Hier soll kein Internet-Roman entstehen. Das Internet ist nur das Medium für einen öffentlichen Traum, ein öffentliches Gedächtnis.

Wie wird „Eclipse“ an die Leser gebracht?

Geplant ist, den Text fortlaufend im Netz auf realfiction.de lesen zu können. Darüber hinaus wollen wir den Roman als Book on Demand anbieten. Du bestellst das Buch im Internet, und erst dann wird es gedruckt; egal, ob du ein oder zehn Exemplare willst. Es wird zugeschickt und kostet genauso viel wie sonst im Buchhandel auch.

Was war der Anlass? Keine Idee für ein neues Buch? Schwierigkeiten, einen Verlag zu finden?

Keineswegs – und schon gar nicht, weil mir die Ideen ausgehen. Es ist ein Versuch, das Medium, das unsere Kommunikationsform entscheidend verändern wird, produktiv zu nutzen. Hier, in dieser Plastiktüte auf dem Tisch vor mir, befindet sich übrigens das Manuskript zu meinem dritten Roman, das ich jetzt gleich zu meinem Verlag bringe.

Interview:
ANDREAS HERGETH