: Meschede in Angst
Die nächste Katastrophe kommt bestimmt. Warten auf die Apokalypse im Sauerland
MESCHEDE taz ■ Erst Eschede, dann Enschede, jetzt geht begreiflicherweise im sauerländischen Meschede die Angst um. Nach Auffassung von Joe Frisch (47), Sprecher der deutschen Bundesvereinigung der Apokalyptiker e. V. (BdA), gibt es dazu auch allen Grund. „Nach dem apokalyptischen Gesetz der Dreierreihung spricht alles dafür: Die nächste große, unbegreifliche Katastrophe passiert in Meschede.“ Zu „offenbarisch“ (Frisch) sei die Ähnlichkeit der Namen. Schließlich unterscheide nur ein N bzw. ein M die Unglücksortsnamen Eschede und Enschede von Meschede. Obendrein lägen das N und das M in direkter alphabetischer Nachbarschaft. Schon das allein sei ein sicheres apokalyptisches Omen, so sicher „wie das Amen in der Kirche.“ Aber Frisch ist auf der Seite der Sauerländer: „Auch wenn es nicht mehr viel nützen wird: Wir beten jetzt verstärkt für Meschede!“
In Meschede selbst gibt man sich gelassen. „Beten kann nie schaden!“, sagt der Gast einer Eisdiele, und seine Frau fügt schmunzelnd hinzu: „Quatsch. Hier passiert nichts!“ Andere Gäste zeigen sich ebenfalls eher belustigt. Als wir allerdings kurz darauf spaßeshalber ein voll beladenes Tablett fallen lassen und dieses gewaltig scheppernd auf den Boden der Eisdiele knallt, zeigen sich etliche Gäste doch mehr als nur erschrocken. Vielen fliegt Panik in die Gesichter. Instinktiv suchen sie Deckung. „Ihr macht einen ja ganz nervös mit eurem Katastrophengerede!“, beschwert sich einer hinterher. Nur mühsam vermag er, das Zittern seiner Hände zu unterdrücken.
Auffallend auch: Die vielen pseudochristlichen Straßenprediger, die in diesen Tagen nach Meschede reisen, um hier von Blumenkübeln oder kleinen Trittleitern herab ihr predigendes Unwesen zu treiben. Unverhohlen fordern sie in ihren Ansprachen die Bürger von Meschede auf, ihre Stadt zu verlassen. „Denn siehe, es wird was passieren. Was, weiß nur Gott. Aber es wird schrecklich sein.“ Pfarrer Dibelius von der katholischen Jakobus-Gemeinde hört solche Reden gar nicht gern: „Unser schönes Meschede ist doch kein Gomorrha.“ Doch auch der Gottesmann kann ein unheilschwärendes Gefühl nicht verhehlen: „Diese Ähnlichkeit der Ortsnamen. Schon seltsam.“
Von den Offiziellen Meschedes will sich niemand zu der bevorstehenden Katastrophe äußern. Lediglich ein Feuerwehrhauptmann, der allerdings ungenannt bleiben möchte, gibt zu, dass er und seine Kameraden schon mal das ganze Spektrum unmöglicher Katastrophen durchgegangen seien, „um am Tag X nicht völlig unvorbereitet zu sein.“ Er persönlich tippe auf eine Schneekatastrophe im August, stelle sich mental aber auch auf einen Vulkanausbruch ein. „Je unglaublicher die Vorstellung, umso weniger wird man dann von der Realität überrascht“, hofft er. Und dennoch: So undenkbar die Katastrophen von Eschede und Enschede zuvor waren, so wenig ist die Heimsuchung, die Meschede blüht, im Vorhinein zu ermessen.
Auch nicht ermessen konnte man zunächst im „TV- und Videozubehör Gebr. Grimm“ in der Einkaufsstraße von Meschede die nach Enschede so plötzlich ansteigenden Verkäufe von Videokameras. Mittlerweile kennt Geschäftsinhaber Hartmut Grimm den Grund: „Die Leute hoffen die Katastrophe von Meschede filmen und dann die Bilder an die ‚Tagesschau‘ verkaufen zu können.“ Grimm reagierte auf diesen Boom, bietet seinen Kunden jetzt einen Videokurs an. „Die Leute sollen lernen, draufzuhalten, wenn es kracht, und nicht, wie man das bei den Amateuraufnahmen von Enschede neulich immer wieder sehen konnte, vor Schreck wegschwenken oder gar abbrechen.“ Grimms Video-Crash-Kurs ist bis in den Herbst hinein ausgebucht. FRITZ TIETZ
Zitat:„Je unglaublicher die Vorstellung, umso weniger wird man von der Realität überrascht“
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