Admiral auf neuem Kurs

Der ehemalige MAD-Chef Elmar Schmähling ist nach Rauswurf aus dem Militär und Verurteilung wegen Konkursverschleppung in einem bescheidenen zivilen Leben angekommen
von BARBARA BOLLWAHN
DE PAEZ CASANOVA

Die Einzimmerwohnung sieht aus wie die aufgeräumte Studentenbude eines Politikstudenten: säuberlich gestapelte Zeitungsberge auf alten Holzdielen, Steine auf dem Fensterbrett, kariertes Schlafsofa, großer Kleiderschrank, aus dem eine eingeklemmte Krawatte rausschaut. Neben dem alten Holzschreibtisch mit dem Computer stehen in Reih und Glied ein schwarzer Plastikpapierkorb, ein paar schwarze Schuhe und ein schwarzer Aktenkoffer. Im Regal mischen sich Hefter zum Thema „Sicherheit und Frieden“ mit grünen Ordnern über die PDS und mit Belletristik wie „Es muss nicht immer Kaviar sein“. Mittendrin steht eine Holzplastik einer hochgereckten Hand, bei der der Daumen zwischen Zeige- und Mittelfinger steckt.

Was man hingegen weniger erwartet: In der offenen Schublade des Flurschrankes liegt eine Pistole. „Das ist nur eine Gaspistole, die einem Bekannten gehört“, sagt der Mann, dessen Studientage lange zurückliegen und der bis vor zehn Jahren ganz große Geschütze auffuhr. Der ehemalige Flottillenadmiral und Ex-Chef des Militärischen Abschirmdienstes, Elmar Schmähling, ist nach seiner steilen Militärkarriere in einem bescheidenen zivilen Leben angekommen. Im Sommer 1998 wurde er wegen Konkursverschleppung, Untreue und Betrug zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Ihm blieb ein Schuldenberg von etwa einer Million Mark bei Freunden, Verwandten und Banken. Das Haus mit Garten wurde zwangsversteigert, nun tut es eine Mietwohnung bei Köln. Doch dort ist seine Frau meistens allein. Obwohl die Ehe intakt sei, wie er betont, ist er meistens in Berlin. Als Schmähling zur Bundestagswahl 1998 für die PDS als Direktkandidat im Berliner Wahlbezirk Prenzlauer Berg/Mitte antreten wollte, nahm er sich die Hinterhofwohnung am nördlichen Rand des Szeneviertels. Weil er „Aversionen gegen Modetrends“ hat, suchte er sich eine stille Ecke.

Nicht nur wohnlich musste sich Schmähling einschränken: Auch das Auto musste verkauft werden. „Ich bin zum passionierten Fußgänger geworden“, redet er sich die Not zur Tugend. Statt am Mittelmeer Urlaub zu machen, pflanzt er Blumen auf der Terrasse über seiner Wohnung. Als freiberuflicher Publizist und Sicherheitsexperte hält sich der 63-Jährige mit Honoraren und Werkverträgen über Wasser. Die Versorgung durch den Bund wurde nach der Verurteilung eingestellt. Schmähling über Schmähling: „Ich bin ein Mensch, der sich mit den Umständen seines Lebens arrangiert und mit Optimismus versucht, das Beste daraus macht.“

Weil das öffentliche Interesse nach seiner gescheiterten Bundestagskandidatur nachgelassen hat, hat sich Schmähling auch in anderer Hinsicht ändern müssen: „Ich bin nicht mehr der Meinung, nur vor Kameras und Mikrophonen etwas bewirken zu können.“ Es reiche ihm, „im Verborgenen zu wirken“. Obwohl er niemals einer Partei angehören wollte, ist er im vergangenen Jahr der PDS beigetreten – „als Solidarisierungsreflex“, wie er sagt. Unbeachtet von der Öffentlichkeit gehört er dort einer Arbeitsgemeinschaft „Sicherheit und Frieden“ an. Doch eitel ist der stattliche Mann noch immer. „Soll ich das Jacket ausziehen – wegen dem Kontrast?“, fragt er den Fotografen und setzt sich bereitwillig in Pose.

Einer der letzten Fernsehauftritte war Ende vergangenen Jahres. Saß Schmähling früher als Talkgast in seriösen Politikprogrammen, trat er im Winter 1999 bei Fernsehpfarrer Fliege auf. Das Thema: „Ich wurde verhaftet.“ Der Grund: Er wollte Werbung für sein neues Betätigungsfeld machen. Seit seinem Gefängnisaufenthalt hat er eine neue „Marktlücke“ entdeckt – der Kampf gegen die Justiz, „die Verurteilten Rechte vorbehält“. Obwohl er nur elf Wochen in Untersuchungshaft saß, war diese Zeit so einschneidend für ihn, dass er beschloss, einen Verein zu gründen, den „Verein zur Förderung der Menschenrechte in Gesetzgebung und Verwaltung“. Der Name: „Curare e. V.“ Schmähling dachte dabei nicht an das hochgiftige südamerikanische Pfeilgift, sondern an das lateinische Wort für heilen. Durch den Verein, der nach seinen Angaben etwa 50 Mitglieder hat, soll „im Schutz vermeintlich staatlicher Allmacht begangenes Unrecht Gesicht und Namen bekommen“, heißt es leicht pathetisch.

Der Auftritt beim Fernsehpfarrer hatte sich gelohnt. Schmähling bekam Dutzende Zuschriften. Unter den Briefen war ein Fall, der so ganz nach seinem Geschmack ist. Dabei geht es um einen Mann, der als Kronzeuge in einem Verfahren um Mord, versuchten Mord und versuchte Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion ausgepackt und seine ehemaligen Kumpels hinter Gitter gebracht hat. Der Gefangene, der derzeit in der Justizvollzugsanstalt Berlin-Plötzensee seine Haftstrafe wegen der Beschaffung von Sprengstoff absitzt, wird nach Schmählings Angaben bedroht. Nur: Außer Schmähling glaubt das keiner. Die Behörden und die Anstaltsleitung sind überzeugt, es mit einer labilen Person zu tun zu haben, die nicht damit klarkommt, beim Verfassungsschutz nicht mehr gefragt zu sein. Schmähling hingegen spricht von einem „pikanten“ Fall: „Erst werden Leute benutzt, um andere ans Messer zu liefern, und dann werden sie fallen gelassen.“ So ist er für den Gefangenen quasi zum Falltuch geworden. Doch bei seiner versuchten Kontaktaufnahme mit Berlins Innensenator beißt Schmähling, der schon kurz nach seinem Rauswurf die Abschaffung des Verfassungsschutzes forderte, auf Granit. Nun konzentriert er sich auf das Gnadengesuch des Gefangenen – eine Mühe, die er sich sparen kann: Im August steht die Entlassung an. Ziel verfehlt, würde man im Militärjargon sagen.

Aussichtsreicher ist hingegen Schmählings Tätigkeit als Militärexperte für das Komitee zur Vorbereitung eines internationalen Tribunals über den Nato-Krieg im Kosovo. Wenn kommende Woche, am 2. und 3. Juni in Berlin, Friedensgruppen eine umfangreiche Anklageschrift präsentieren, will Schmähling begründen, wieso „der Angriffskrieg nicht mit dem humanitären Völkerrecht vereinbar ist.“ Schmähling war drei Mal vor Ort, zuletzt im März dieses Jahres in Belgrad, um zerstörte Krankenhäuser zu inspizieren. Von dem Tribunal erhofft er sich „mehr Öffentlichkeit für die Problematik“ und eine „Motivation für die Friedensbewegung“. Auf seiner Homepage www.Schmaehling.de finden sich neben einer Chronik des Krieges all seine offenen Briefe und Strafanzeigen gegen Bundeskanzler und Verteidigungsminister. Von Ruhestand kann bei Schmähling keine Rede sein.

Auch wenn ihm das Militär verhasst ist, kommt er nicht davon los. „Solange es das Militär gibt, werde ich damit zu tun haben“, weiß er. „Ich fürchte, es gibt es noch eine Weile.“ Angst, irgendwann gar nicht mehr gefragt zu sein, hat er nicht. Dafür ist er zu selbstbewusst: „Es gibt wenig Leute, die das Militär so gut kennen, so eine ablehnende Position haben wie ich und die Gründe dagegen so gut formulieren können.“ Und Schmähling hat längst nicht alles gesagt. Mehrere Bücher hat er schon geschrieben. Und es juckt ihn wieder in den Fingern. Besonders am Herzen liegt ihm die Entwicklung der Nato. Weil seine bei großen Verlagen herausgebrachten Werke nicht so angepriesen wurden, wie er es erwartet hatte, stapelt er auch hier tiefer. „Mir ist egal, wer das nächste Buch macht. Hauptsache, es fällt nicht auseinander.“

Schmähling lässt offen, was von ihm noch zu erwarten ist. Weil er „absolut konform“ mit der PDS geht, will er selbst eine erneute Kandidatur nicht ausschließen. „Solange ich beweglich, gesund und geistig klar bin, kann ich alles Mögliche machen“, sagt er. Denn er träumt noch immer: „Ich will ein bisschen dazu beitragen, diese Gesellschaft voranzubringen.“

Zitat:EX-FLOTTILLENADMIRAL SCHMÄHLING:„Solange es das Militär gibt, werde ich damit zu tun haben. Ich fürchte, es gibt es noch eine Weile.“