piwik no script img

„Ich könnte Haider auf die Matte legen“

Claus Peymann über seine Ambitionen als Drachentöter und den FPÖ-Star als Schauspieler, über sein Verhältnis zum Geld und die Berliner Kulturpolitik. Fünf Monate nach seinem Einstand am Berliner Ensemble gibt sich der Theaterdirektor zerknirscht: „Vielen unserer Aufführungen fehlt noch der Kick“

Interview RALPH BOLLMANN

taz: Herr Peymann, fünf Monate nach Ihrem Start am Berliner Ensemble macht sich Enttäuschung breit. Fehlt Ihnen der Wiener Resonanzboden?

Claus Peymann: Das Publikum ist enthusiasmiert. Sie reden von der Stimmung in den Feuilletons. Das ist mir vollständig egal. Ich bin so abgebrüht, dass mich das kaum mehr erreicht. Wir machen ein Fest, zu dem 7.000 Leute kommen – und eine der großdeutschen Zeitungen, die FAZ, zeigt zu einem Bericht darüber ein Foto mit einer einsamen Rentnerin samt Regenschirm. Das ist Prawda-Strategie.

Sie fühlen sich verfolgt?

Nein. Ich fühle mich mit großer Aufmerksamkeit beachtet. Ich freue mich, dass sich die Wiener Verhältnisse inzwischen nach Berlin übertragen haben: Ich bin der Beelzebub für alles.

Christoph Schlingensief hat Sie als „Theaterlügner“ bezeichnet, weil Sie Ihren „alten Wiener Gemischtwarenladen“ als innovatives Theater verkaufen.

Ich bin ihm dankbar. Schlingensief hat die Rolle übernommen, die Fritz Muliar 13 Jahre lang in Wien gespielt hat – mich als Vollidioten darzustellen. Soll er doch weitermachen. Es hilft ja immer, wenn ein Theaterdirektor – und damit sein Theater – im Fokus ist.

Sie sind ein PR-Genie.

Finden Sie das etwa unmoralisch? PR heißt Phantasie, und dieses Theater hat Phantasie. Auch sein Direktor. Wen das stört, dem kann ich nicht helfen.

Sie wollten der „Reißzahn im Regierungsviertel“ sein. Davon hat man noch nichts gemerkt.

Ich habe nicht gesagt, dass ich schon der Reißzahn bin. Es stimmt: Einigen unserer Auführungen, oder vielleicht allen, fehlt noch der Kick. Aber wir reden über die ersten fünf Monate. Sie werden schon noch jubeln.

Wann denn? Bei der Premiere Ihres „Richard II.“ Ende Juni?

Die Proben laufen gut. Das ist ein Stück, das sich mit einem morschen politischen System befasst. Eine von Anbeginn verdrehte Demokratie, die von dem Populisten Bolingbroke ausgenutzt wird. Ich will nicht sagen: Bolingbroke ist Haider. Aber da sind viele Verbindungen zur politischen Situation in Europa.

Trotzdem haben Sie sich mit Kommentaren sehr zurückgehalten, als die FPÖ in Österreich an die Regierung kam.

Ich hätte Haider einen Gefallen getan. Für ihn wäre es ideal gewesen, wenn ich auf ihn losgedroschen hätte. Die Österreicher haben ausgeprägte Komplexe, obwohl sie ein unglaublich begabtes Volk sind. Im Übrigen ist Herr Haider doch harmlos gegen die Korruptionsaffäre von Kohl, Kiep und Kanther! Der politische Lügner, das ist die prägende Figur der Szene. Deshalb wollen wir den „Tartuffe“ spielen.

Sind Sie Haider persönlich begegnet?

Das bleibt in einer kleinen Stadt wie Wien nicht aus. Ich habe ihn immer wieder getroffen, mit seinem Knabenrudel um sich herum. Aber ich möchte ihn nicht in Bezug auf seine sexuelle Lebensführung diskrimieren. Obwohl man natürlich fragen kann, ob er sich das nicht gefallen lassen muss – wenn er bei anderen als Saubermann auftritt.

Haben Sie mit ihm gesprochen?

Wir begrüßen uns, wie sich Prominente halt so zuwinken. Mehr nicht. Einmal wollte er für „Heldenplatz“ Freikarten haben. Ich habe ihm abgesagt. Da war er stinksauer.

Hat es Sie nie gereizt, öffentlich mit ihm zu diskutieren?

Es gab immer Anfragen aus seinem Büro. Ich wollte es machen. Aber man hat mir abgeraten.

Hätten Sie es besser gemacht als Erich Böhme?

Ich bin sicher, dass ich Haider auskugeln könnte. Er ist für mich im Grunde ein Schauspieler. Hitler wollte Maler werden, Haider wollte Schauspieler werden. Hätte man sie doch gelassen!

Hätten Sie Haider genommen? Ist er ein guter Schauspieler?

Er ist begabt, ehrgeizig, vielseitig. Er kann ein Publikum über den Tisch ziehen. Aber ich kann solche Leute ins Wanken bringen. Das ist schließlich mein Beruf: Regisseur. Ich hätte ihn gern erlegt, als Drachentöter: Peymann legte Haider auf die Matte. Habe ich nie gemacht.

Wer hat Ihnen abgeraten?

Alle – von André Heller bis Franz Vranitzky. In Österreich kennt man sich. Da treffen Sie sich mit dem Bundeskanzler in der Pizzeria – ohne Streifenwagen und Leibgarde. Im Volksgarten beim Burgtheater begegnen Sie dem Bundespräsidenten, der gerade in der Sonne sitzt. Dort gibt es übrigens auch eine Rose, die meinen Namen trägt.

Werden Sie in Berlin schon auf der Straße erkannt wie in Wien?

Ich wohne in Pankow beim Majakowskiring, wo in der DDR die Bonzen residiert haben. Dort hält sich das in Grenzen. Aber in Charlottenburg kann ich kaum über die Straße gehen, ohne Autogramme geben zu müssen. Da werde ich auch oft beschenkt.

Beschenkt?

Ich bekomme immer Kaffee, seit ich in Österreich Werbung für Meinl gemacht habe. Das war ein Fernsehspot von 30 Sekunden und eine Anzeigenkampagne in allen Zeitungen. Von da ab war ich in Österreich endgültig durch. Alle haben gesagt: Sie schauen ja so herzig.

Das klingt wehmütig. Sehnen Sie sich zurück?

Nein. Ich bin vom Burgtheater nicht vertrieben worden. Ich hatte das Gefühl: Ich werde in Berlin gebraucht. Ich wollte das Terrain nicht den Protzbauten am Potsdamer Platz und im Regierungsviertel überlassen. Ich wollte, dass in Berlin eine lebensfähige Metropole entsteht. Dazu gehört lebendiges Theater.

Ist die politische Klasse Berlins dieser Aufgabe gewachsen?

Die Westberliner Clique sicher nicht. Da gibt es noch starke Züge von Berliner Mief, der übrigens parteiübergreifend ist. Ich habe mit der CDU nichts am Hut, ich habe aber auch mit der SPD nichts am Hut. In Stuttgart habe ich in Manfred Rommel einen CDU-Partner gefunden, in Bochum habe ich mich jahrelang mit der SPD gestritten. Woher das Geld für den Fortbestand meines Theaters kommt, ist mir eigentlich egal. Ich bin an Politikern eher nicht interessiert.

Umgekehrt interessieren sich die Berliner Politiker neuerdings für „abgelatschte“ Künstler, wie es der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen formuliert hat.

Diepgen ist sowieso verloren, wenn er nicht begreift, dass die politische Perspektive dieser Stadt in der Entfaltung ihres kulturellen Lebens besteht.

Wenn man in Berlin von Kultur spricht, redet man immer nur über das Geld. Liegt das daran, dass die Stadt so arm ist?

Das stimmt doch nicht! Berlin hat aberwitzig viel Geld – gemessen an den Peanuts, um die es in der Kultur geht. Da werden mal eben 150 Millionen Mark für eine fehlgeplante U-Bahn verpulvert. Das ist doch zwergenhaft!

Als Ausweg aus dem Desaster möchte der Bund einige Kultureinrichtungen übernehmen. Könnten Sie sich vorstellen, das Staatstheater der Bundesrepublik Deutschland zu sein?

Das ist eine Frage der Aufgabenstellung. Wir werden nicht dadurch Nationaltheater, dass der Bund uns bezahlt. Es geht um unseren eigenen Anspruch. Ein Haus, an dem das zeitgenössische deutsche Drama zu Hause ist und das zugleich das klassische Erbe aufnimmt – das wäre die Aufgabe eines Nationaltheaters. Eine solche Rolle kann ich mir vorstellen. In gewisser Weise ist ja die Geschichte meiner Theaterarbeit die Geschichte des deutschen Nachkriegsdramas.

Haben Sie Staatsminister Michael Naumann gefragt, ob er Sie übernehmen will?

Ich habe mit Herrn Naumann einmal zu Mittag gegessen und mich auf die schriftliche Zusicherung des damaligen Berliner Kultursenators Peter Radunski berufen, dass wir zu den kulturellen „Leuchttürmen“ des Bundes gehören. Naumann hatte noch nie davon gehört. Er fiel fast vom Hocker. Das hat aber nicht dazu geführt, dass er seine Schatulle geöffnet hätte.

Geld hat etwas mit Prestige zu tun. Sie haben verlangt, dass Sie mehr verdienen als jeder andere Theaterleiter in Berlin.

Ich habe gesagt: Ich möchte im Jahr 10.000 Mark mehr verdienen als der teuerste Berliner Schauspielintendant. Das tue ich jetzt tatsächlich. Ich verdiene 10.000 Mark im Jahr mehr als Frank Castorf. Gegenüber Wien habe ich mich also außerordentlich verschlechtert. Wahrscheinlich bin ich dennoch der billigste Berliner Theaterintendant, weil ich nicht gastiere. Sie können ja mal bei Castorf, Langhoff oder Ostermeier anrufen und fragen, wo sie gerade inszenieren – in Hamburg, Wien, München, Salzburg oder sonstwo.

Sie wollen nicht verraten, wie viel Sie bekommen?

Ich verdiene brutto rund 400.000 Mark – inklusive meiner Inszenierungen. Wenn Sie das mit den Berliner Operndirektoren oder einem erfolgreichen Chefarzt an der Charité vergleichen, ist das ein Witz.

Sie halten Ihr Geld jedenfalls gut zusammen. Bei dem „namhaften Betrag“, den Sie in Stuttgart für die Zahnbehandlung der in Stammheim inhaftierten Gudrun Ensslin gespendet haben, handelte es sich um ganze 100 Mark. Das hat jetzt Manfred Rommel in einem Zeitungsinterview ausgeplaudert.

Das habe ich gar nicht gelesen. Ehrlich gesagt, es sind damals 500 Mark gespendet worden. 100 Mark waren von mir, die restlichen 400 Mark von den Schauspielern. Deswegen sind wir alle rausgeflogen. Die Bild-Zeitung schrieb: Der Regisseur des Untergrundes, Claus Peymann, spendet 50.000 Mark für die Zähne von Gudrun Ensslin.

Rommel hat damals zu Ihnen gesagt: Wenn herauskommt, dass es nur 100 Mark waren, dann gibt es für Sie wirklich keine Rettung mehr.

Kann sein. (Lacht.) Rommel hat viel Humor, das stimmt.

Wie würden Sie selbst Ihr Verhältnis zum Geld beschreiben?

Desinteressiert. Ich habe auf meinem Bankkonto ein kleines Kapital angesammelt. Vermutlich ungeschickt angelegt, beim nächsten Crash ist nichts mehr da. Sonst besitze ich nichts. Ich besitze nicht wie Peter Stein ein Dorf in der Toskana. Ich besitze auch keine Ferienvillen wie Jürgen Flimm oder eine schöne Datsche wie einige meiner Ostberliner Kollegen. Ich esse gerne gut und teuer. Ich trinke sehr gerne französische Rotweine und gute weiße Österreicher. Das ist, wenn Sie so wollen, ein Rest von Laster.

Fühlen Sie sich alt?

Manchmal schon. Wenn ich allerdings mit so manchem früh vergreisten Jungregisseur rede, fühle ich mich jung.

Warum?

Die reden so wohlerzogen. Erwachsensein ist für Theaterleute tödlich. Das heißt nicht, dass ich als ewige Latzhose durch die Gegend rennen will. Theater ohne Chef geht nicht. Das habe ich sehr früh begriffen.

Beruht darauf Ihr autoritärer Ruf?

Woran liegt es, dass alle bedeutenden Schauspieler immer wieder an meinen Theatern gearbeitet haben? Doch nicht an meinem autoritären Ruf. Aber dieses Interview soll ja nicht in ein massives Selbstlob ausarten.

Hat sich Ihre künstlerische Arbeit durch das Alter verändert?

In der unangefochtenen Position eines Theaterleiters ist das schwer einzuschätzen. Wenn der Verfall bereits im Gange ist, nimmt man ihn nicht wahr.

Sie gelten als Egomane. Ein Schauspieler hat über Sie gesagt: Peymann ist in der Lage, alles auf sich selbst zu beziehen.

Das könnte stimmen. Das finde ich auch nicht so schlecht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen