: Lädierte Koalition vor Neuauflage
Polens Premier Jerzy Buzek lehnt einen Rücktritt von fünf Ministern der Freiheitsunion ab. Doch der kleinere Koalitionspartner gibt sich gelassen. Anders als die Solidarität bräuchte er Umfragen zufolge bei Neuwahlen keine Einbußen zu befürchten
aus Warschau EMIL LANDAUER
Polens Premierminister Jerzy Buzek hat den Rücktritt von fünf Ministern des liberalen Koalitionspartners, der Freiheitsunion (UW), abgelehnt. Er hat damit der UW eine Hintertür für die Aufnahme von Verhandlungen über eine Neuauflage der Koalition unter einem anderen Premier offen gehalten. Als Kandidat dafür ist von Buzeks Parteienbündnis „Wahlaktion Solidarität“ der Finanzexperte Boguslaw Grabowski im Gespräch.
Damit ist die Koalitionskrise in Warschau etwas entschärft. Sie war ausgebrochen, als die erweiterte Parteiführung der UW am Sonntag beschlossen hatte, ihre fünf Minister aus der Regierung zurückzuziehen. Die Minister, darunter der Vize-Ministerpräsident Leszek Balcerowicz und Außenminister Bronislaw Geremek, hatten gestern ihren Rücktritt eingereicht. Nach Buzeks Entscheidung werden sie geschäftsführend im Amt bleiben. Wegen der Krise wurde bereits eine Reise Geremeks und das für Donnerstag vorgesehene Treffen der Finanzminister des „Weimarer Dreiecks“ (Frankreich, Polen und Deutschland) abgesagt.
Auslöser der Krise war ein koalitionsinterner Streit um die Suspendierung der Warschauer Selbstverwaltung durch Premier Buzek. Dies hatte die UW zum Anlass genommen, ihre Minister zurückzuziehen. Sie fordert nun eine Disziplinierung der Abgeordneten des größeren Koalitionspartners, die Rücknahme der Suspendierung des Warschauer Gemeinderats und den Rücktritt Buzeks. Ihr As im Ärmel: Während sie bei Neuwahlen ihr Ergebnis von 1997 halten könnte, drohen der Solidarität Verluste von fast zwei Dritteln ihrer Mandate. Sieger wären die Sozialdemokraten, die sogar eine absolute Mehrheit gewinnen würden.
Verhandlungen über eine Neuauflage der Koalition gelten nun als wahrscheinlich, können aber lange dauern. Das Grundübel der Koalition ist die mangelnde Disziplin der Abgeordneten der Solidarität, die immer wieder ihre Regierung bei wichtigen Abstimmungen im Regen stehen lassen. Disziplinieren kann sie die Regierung kaum: Die Drohung, einen abtrünnigen Abgeordneten nicht mehr aufzustellen, bleibt wirkungslos, da die Mehrheit der Solidaritäts-Abgeordneten ohnehin keine Aussicht hat, 2001 wiedergewählt zu werden. Immer mehr Abgeordnete suchen deshalb ihr Heil in der Flucht, um nicht für die Misserfolge der Regierung verantwortlich gemacht zu werden. Nach der Verfassung ist die Wahl einer neuen Regierung über ein konstruktives Misstrauensvotum gegen Buzek oder durch dessen Rücktritt möglich. Tritt Buzek zurück, begibt er sich völlig in die Hand des Präsidenten, der den Rücktritt ablehnen oder einen eigenen Kandidaten mit der Regierungsbildung beauftragen kann. Verweigert das Parlament diesem die Mehrheit, muss es einen eigenen Kandidaten benennen. Bekommt der in zwei Wochen keine Regierung zu Stande, kann der Präsident das Parlament auflösen und vorzeitige Wahlen anberaumen. Die Prozedur kann bis zu drei Monate dauern. Reguläre Parlamentswahlen sind für Herbst 2001 geplant.
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