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Maschinenkunstgeisterbahn

■ Der britische Künstler Jim Whiting zeigt sein mechanisches Spektakel „The Rotters“

Schon mal auf einem fahrenden Bett durch eine Ahnengalerie halbwahnsinniger Hochadeliger gesaust, in einen Badewannenwasserfall geraten oder von einem wildgewordenen, schreienden Wäscheschrank vom Barhocker geworfen worden? Klingt wie ein Alptraum, ist aber die skurrile Fortentwicklung der letztens in Leipzig sehr erfolgreichen Bimbo Town, eines Maschinenkunstparks von Jim Whiting. Der vor 49 Jahren in Paris geborene britische Künstler begann nach seinem Ingenieur- und Kunststudium in London mit motorisierten Skulpturen und verwickelte dann das Publikum mehr und mehr in seine Arbeiten.

Er inszenierte 1987 für André Hellers Luna Luna ein Maschinentheater und zwei Jahre später auf Kampnagel die Performanceausstellung Bad Air – der Titel auch ein Hinweis auf die Drucklufttechnik, die alle Dinge auf äußerst überraschende Weise belebt. Denn Jim Whiting hält mehr von Mechanik als von Computern und meint: „Ein echt agierendes Publikum ist immer viel besser als ein Computerprogramm.“

Jetzt gastiert der Maßstäbe setzende Maschinenkünstler wieder in Hamburg und zeigt mit zusätzlicher Hilfe der Performer vom „Theatre of Hell“ seine beweglichen Zimmer, hysterischen Tische und menschenfressenden Sofas. Ausgehend von der gemalten Ahnengalerie heißt das Spektakel The Rotters. Das ist im britischen Slang die Bezeichnung für leicht verkommene oder schlitzohrige Angehörige der englischen Oberschicht mit ihren bizarren Phantasien und Vorlieben. Doch die zu den schnell gemalten Porträts erzählten Stories sind nur das Vorspiel zu eigenen Erfahrungen in einer amüsant-bedrohlichen Welt, in der die Dinge den Aufstand proben. Jim Whiting selbst nennt sein ausuferndes Produkt einen „Mechanical Art Ghost Train“, eine Maschinenkunstgeis-terbahn und definiert die Nähe von Lust und Horror sehr englisch: „It 's not funny, it is black humor.“

Doch trotz manch verwirrender Konfrontation mit sonst so braven Gebrauchtmöbeln funktioniert das Ganze auch als Freizeitvergnügen: Übervorsichtige können sich an der Bar auf einer Leinwand anschauen,, was den andern so zustößt. Und nach den Vorstellungen ab 22 Uhr gibt es auf einer Showbühne unter den tanzenden Hosenbeinen aus dem mehrfach preisgekrönten Herbie-Hancock-Video „Rockit“ weitere Live-Acts und Musik.

Hajo Schiff

„The Rotters – Ein mechanisch-pneumatisches Abenteuer“: Premiere 31. Mai, weitere Vorstellungen 2. und 3., 8. bis 10., 15. und 16. und 22. bis 24. Juni, jeweils 20.30 Uhr sowie 11. Juni, 16 Uhr; Kampnagel, k6

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